Aus:
Die ungekürzte Geschichte.
Der Bericht über eine Reise ins Innere der Schweiz.
Going to Glarus oder alles gut Bruder?
Kunst ist der Wille, durch gewählte Mittel aus sich heraus zu treten.
Max Jacob.
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Ich fuhr nach Glarus, weil ich von einer Buchhandlung zu einer Lesung eingeladen worden war.
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Natürlich hatte ich einen Artikel über Glarus dabei. Ich hatte ihn aus der Zeitung ausgeschnitten, weil ich wusste, dass ich da bald hinfahren würde.
In diesem Artikel wurde ich daran erinnert, dass der Mönch auf dem Kantonswappen den Fridolin darstellt. Seinesgleichen der Schutzheilige des Kantons. Ich las auch, dass die Glarner den Fridolin «Friedl» nennen, und dass aus dem katholischen Namen Fridolin der protestantische Fritz hervorgegangen sei. (Wusstest du das Fritz?)
Noch bevor ich in Ziegelbrücke umstieg, erfuhr ich in dem Artikel auch, dass man den Kanton Glarus gerne zur Innerschweiz zähle, obschon er mehrheitlich protestantisch sei und eigentlich zur Südostschweiz gehöre.
Beeindruckend war für mich aber schon immer dieser besondere Blick gewesen. Dieser Blick vom Zug aus in das Tal hinein. Auf jeder Fahrt nach Chur habe ich in diesen sogenannten Zigerschlitz hineingeschaut, dort mittendrin einen markanten Berg gesehen und mich über diesen Kanton gewundert.
Es war höchste Zeit, dass ich da wieder einmal hinfuhr.
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Ich war noch nie in Glarus.
Ich war auch noch nie in Glarus, hatten vor meiner Abreise erst meine jüngere, dann meine ältere Tochter gesagt.
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Kurz nach Bern machte ich eine erste Notiz: «Der Zug bremst schon vor Burgdorf ab, was wohl bedeutet, dass er Verspätung haben wird». Und dass ich wieder erstaunt war, wie die Menschen rund um mich auf ihre kleinen Bildschirme fixiert sind. Das war einmal, dass die Welt noch gross war, schrieb ich dazu.
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Mir machte es Spass, zum rasenden Zug hinaus in die Felder zu schauen, darüber die Wolkenberge zu bewundern, auch wie sich die braunen Bänder der Feldwege in die Landschaft schmiegten und hinter einer Anhöhe oder in einem Wald verschwanden. Es machte sogar so viel Spass, über das Land ins Weite zu schauen, dass es schmerzte, wenn der Zug wieder in einen Tunnel stach und mir die Aussicht verwehrt blieb. Einmal als der Zug lange einer begradigten Böschung entlang raste, sah ich dahinter die Aufbauten von Lastwagen, was mich vermuten liess, dass sich dort die Autobahn befand und dass diese Lastwagen im Stau standen.
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Nach Zürich geschah dann das Missgeschick mit der falschen Verbindung. Gut, sagte ich mir, so siehst du noch den Walensee, auch die Kurfürsten und Zeit hast du ja, aber es war trotzdem ein bisschen ärgerlich. Vor allem auch, weil mich der Kondi bei der Billetkontrolle nicht auf meinen Fehler aufmerksam gemacht hatte.
Ich bin unter der irrigen Annahme, dass dieser in Ziegelbrücke hält, in den Zug nach Chur eingestiegen.
Also fuhr ich bis Sargans, wo ich innerhalb weniger Minuten einen Regionalzug zurück nehmen konnte. Das ist ÖV vom Feinsten. That’s Switzerland.
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Wenn man dort in Ziegelbrücke im Regionalzug abbiegt, hat man nicht nur den markanten Brocken des Glärnisch, man hat auch ein paar Überraschungen vor sich. Zum Beispiel, dass die gerade sehr angesagte Läderach-Schokolade hier hergestellt wird. Und zwar in Ennenda.
In Ennenda?
Ja, in Ennenda. Solche Ortsnamen gibt es hier.
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Ennenda, heisst wohl ennet dem Fluss, und das wäre die Lindt.
In diesem Zug sass ich übrigens einem freundlichen Mann gegenüber, der handgestrickte Wollsocken trug.
Und schon bald sollte ich herausfinden, dass man sich in Glarus, ausser auf der Hauptstrasse und rund um die Läden beim Bahnhof, auch unter Unbekannten grüsst.
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Im Hotel hatte ich die Frau, die mir den Schlüssel aushändigte, nach einem Restaurant gefragt. Sie hatte mir das ganz in der Nähe liegende Glarnerstübli empfohlen. Dort würden auch Glarner Spezialitäten angeboten.
Auf dem Weg zu der Buchhandlung kam ich bei diesem Glarnerstübli vorbei. Es befand sich oben an dem wegen seiner Grösse leicht erkennbaren Platz, auf dem einmal im Jahr die Landsgemeinde stattfindet. Weil ein leichter Wind wehte, flog mir der Hut vom Kopf und ich dachte, ich bräuchte dringend einen Haarschnitt.
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Dass die nächste Landsgemeinde kurz bevor stand, erfuhr ich später, weil mein Tischnachbar im Glarnerstübli erzählen sollte, er müsse an seinem Haus unbedingt noch den Balkon reparieren, «bevor dann wieder alle zu ihm kommen wollen, um zuzuschauen».
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Ich hatte zwar einen Migrossack gefüllt mit Büchern, nicht aber die genaue Adresse der Buchhandlung dabei, war mir jedoch sicher, dass sich diese in der Nähe befinden musste und war zuversichtlich, dass mir notfalls jemand weiterhelfen würde.
So war es auch: Gleich da vorne, Buchhandlung Wortreich, antwortete ein Mann auf meine Frage, der gerade mit einem Ungetüm von einem Rollbesenwagen, wie ich noch nie einen gesehen hatte, das Trottoir und den Vorplatz seines Hauses putzte.
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Leider kamen dann nicht mehr als sieben oder acht zahlende Zuhörer. Und bis kurz vor 19:00 Uhr, bis zu dem Zeitpunkt, an welchem die Lesung beginnen sollte, war absolut unklar, ob überhaupt jemand kommen würde.
Darauf angesprochen hatte die Buchhändlerin, die mich eingeladen hatte, gesagt, sie wisse es nicht.
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Natürlich hatte ich es vor meiner Zusage einmal mehr versäumt, mich genauer über den Veranstalter und über die Hintergründe der Einladung zu erkundigen. Natürlich war das dumm.
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Und natürlich ist «natürlich» auch so ein Wort. Ich verwende natürlich das Wort «natürlich» wieder viel zu oft. Ich könnte auch schreiben: «Ist ja klar». Aber natürlich ist «natürlich» schöner. Und natürlicher.
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Vor der Lesung hatte ich mich hinten in dem antiquarischen Teil der Buchhandlung, wo es auch eine Kinderecke gab, auf einen der niedrigen Stühle an einem niedrigen Tisch gesetzt und mir in Erinnerung gerufen, dass ich diese Anfrage für eine Lesung ja eigentlich als Aufforderung verstanden hatte, wieder mal den Kanton Glarus zu besuchen.
Also.
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Nach der Lesung war ich schon bald frei, etwas essen zu gehen. Ich ging zurück über den ganzen Landsgemeindeplatz, der jetzt zwar mit Autos überstellt war, aber mindestens so gross war wie zwei Fussballfelder.
Beim Betreten des Glarnerstüblis, bemerkte ich sofort, dass es tatsächlich ein «Stübli» ist. Neben dem Buffet gab es bloss vier oder 5 Tische, je nachdem wie man sie zusammen schiebt und darüber ziemlich niedrig die Decke. Natürlich war alles aus Holz und natürlich hingen an den Wänden Fotos verschiedener Landsgemeinden. Die Fotos waren blass, graubeige, schwarz-weiss und eins war in Farbe.
Die Gaststube war aber nicht nur klein, es roch heftig nach Zigarettenrauch und es war laut.
Weil ich empfangen wurde, als würde ich dort täglich verkehren, befolgte ich die Anweisung der Bedienung und setzte mich auf die Bank hinter dem einzigen nicht ganz besetzten Tisch.
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Am nächsten Tag wurde ich im Hotel um 8:30 Uhr zum Frühstück erwartet, ich war der einzige Gast und ich wurde freundlichst von einer Frau begrüsst, die mich fragte, ob ich Kaffee mit Milch möchte.
Gerne, sagte ich und als die Frau mit dem Milchkaffee aus der Küche kam, fiel mir auf, wie abenteuerlich sie sich ausdrückte. Es schien, dass sie an alle Worte noch ein «i» anhängte.
Dort drüben ist Safti, sagte sie, während sie auf die Anrichte zeigte und ja, sie stamme aus Portugal, antwortete sie auf meine diesbezügliche Frage.
Weil ich noch nach Elm wollte und sie nach der Verbindung fragte, sagte sie: Erst Zugi, dann Busi, dann Elmi!
Und als ich fragte, wie lange die Fahrt dauern würde, sagte sie: Halbi Schtundi! Wir verstanden uns so gut, dass sie bald zurück in die Küche eilte, um ihr Handy zu holen. Sie wollte mir Bilder ihrer beiden Kinder zeigen.
Das Mädchen war sehr hübsch und steht offenbar vor dem Anfang einer Lehre als…. wie sagen pflegi Lüti?
Vielleicht Krankenschwester?
Noch bevor ich sagen konnte, ich meinte Krankenpflegerin, sagte sie: Ja genau: Krankischwöschti.
Als sie mir das Bild ihres Sohnes zeigte und ich dachte, es würde ihr Freude machen, sagte ich: Sieht Ronaldo sehr ähnlich. Darauf konnte sie sich kaum mehr fassen.
Für den Jungen sei Ronaldo ein Gott! Ronaldo! Ronaldo!
Sie sprach den Namen so aus, wie das die Portugiesen tun: Ruunaalduuuuh. Den ganzen Tag höre sie immer nur Ruuuhhhhnaaahhhhlduuuuhhhh! Der Junge habe nichts anderes im Kopf als Fussball und Ruuuhhhnaaahhhhlduuuuuuuhhhhhhh! Es sei kaum auszuhalten. Dazu griff sie sich an die Schläfen und schüttelte den Kopf.
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Gut, toll war es nicht, aber das Peinliche an der Lesung war lediglich gewesen, dass nicht wahnsinnig viele Leute kamen, aber auch das Hotel hätte ich nicht buchen dürfen.
Es war alles sauber und o. k., aber eigentlich war es kein richtiges Hotel. Ich hatte eines von ein paar Zimmern, die über einem Pub eingebaut worden waren. Möglicherweise wollte dort aus naheliegenden Gründen niemand mehr wohnen.
Das Zimmer war so klein, dass ich schon als ich es das erste Mal betrat, mit meinem Rucksack überall anstiess. Das Fenster war etwa so gross wie zwei Taschentücher und der Tisch – Zugegeben: Immerhin ein Tisch. – war kaum gross genug, um darauf mein Heft aufschlagen zu können.
In dieses Heft schrieb ich nach dem Frühstück:
Worüber beklagst du dich? Hast du gestern Abend nicht das Gefühl gehabt, dass du verdammt viel Glarus mitbekommen hast und wozu bist du hergekommen?
Und hat dir die liebenswürdige Dame, die sich um das Frühstück kümmert, nicht eben Fotos von ihren Kindern gezeigt?
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Und auch wenn die Rückmeldungen, auf einen zum ersten Mal vorgelesenen Text spärlich und verhalten ausfielen, diese sogenannten «langen Sätze», diese «so verschachtelten Sätze», sind eben doch der Weg. Sie sind die Kunst und der Umgang mit ihr, den ich zu pflegen habe! Schrieb ich weiter an dem kleinen Tisch in mein Heft.
Doch es ist richtig, anstelle irgendwelcher aus den Fingern gesogenen Erfindungen, das vermeintlich Nichtsagende ins Zentrum zu rücken. Auch wenn der Mann der Buchhändlerin meinte, sagen zu müssen, in dem Text passiere nichts. Sein Problem, wenn er nicht merkt, dass sprachlich eben doch sehr viel passiert.
Das habe ich wirklich geschrieben, dort an dem unmöglichen Tisch in dem unmöglichen Zimmer in dem unmöglichen Hotel.
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Dann schrieb ich auch noch: Jetzt gehen wir noch mal in diese kleinste Hauptstadt der Schweiz, sehen uns noch ein bisschen um und fahren dann mit Zugi und Busi hinauf in diese schönen Berge nach Elmi!
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Schon auf der Höhe der Stadt Glarus, sieht man, wie steil und schroff sich die Berge hier auftürmen. Als gäbe es hier nur den Talboden im ersten und im fünften Stock die Gipfel im Nebel. Dazwischen nichts als dunkle Bannwälder, Geröllhalden, nackte Felsen.
Nur ab und zu gibt es einen Weg der links und rechts vom Tal durch grüne Matten stotzig zu einem Heuschober oder zu einem kleinen Gehöft hinaufführt, über welchem nicht selten eine Schweizerfahne flattert.
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In Schwanden rauschte die Lindt in der Talsohle und als der Bus losfuhr, kreiste ein Schwarm Bergdohlen über der Brauerei Adler. Nach einem halben Dutzend Kurven durch eine wilde Schlucht, weitete sich das Tal wieder. Sehr heimatlich sieht es dort oben aus. Alles ziemlich intakt, wenig verbaut, wie mir schien. Die dunkelbraun gebrannten Holzhäuser sind stattlich und in ihren Proportionen eher hoch als breit. Einmal sah ich hinter dem Haus bei den Stallungen einen Bauer, der mit der Gabel den Kuhmist zu einem Miststock aufschichtete. Und nicht weit davon entfernt bemerkte ich drei Fahnen an hohen, weissen Stangen: Den Fridolin, das Schweizer Kreuz und daneben, gelb grün wie die Flagge Brasiliens, das Werbelogo für Elmer Citro.
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Schnell hat man mitbekommen, dass dieses Glarner Land, ja gar nicht ländlich ist. Glarus ist der am höchsten industrialisierte Kanton der Schweiz. Man sieht auch die Quelle dieser Industrialisierung: Das Wasser und seine Kraft. Auf dem Weg nach Elm sieht man wie dieses Wasser hervorbricht. Als quellten in den Schrunden der Bergbäche die Eingeweide der Erde zu Tage. Bolzengrad schiesst es dann ins Tal hinunter, wo einst die Mühlen und die Fabriken warteten. Da wird nicht links und nicht rechts geschaut. Viele der Fabriken stehen noch da und sehen auch aus wie Fabriken. Auffallend sind auch die vielen hohen Gebäude, in welchen Tuchbahnen getrocknet wurden. Hänggitürm wurden sie genannt.
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Als im Bus plötzlich Landesplattenberg als Haltestelle angesagt wurde, dachte ich, das sei für hiesige Verhältnisse aber ein sehr langer Name. Landesplattenberg. Später erfuhr ich, dass man hier hinten im Sernftal, wo bis 1969 eine Eisenbahn verkehrte, Schiefer aus den Bergen brach. Möglicherweise war auch meine Schultafel hier hergestellt worden. Aber ob mit diesen Landesplatten diese Schiefertafeln gemeint sind, habe ich nicht herausgefunden.
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Sicher ist, auch der heisse Stein, auf dem ich im Glarnerstübli mit Pommes garniert ein Stück Fleisch serviert bekam, war aus Schiefer. Unsicher ist, ob es sich dabei um Schiefer vom Landesplattenberg handelte. Vermutlich wäre es auch verfehlt, mein Essen auf dem heissen Stein als Glarner Spezialität zu bezeichnen. Aber das war es, was es gab.
Ich weiss nicht mehr, wie oft ich ausser von der Bedienung und der unverwechselbaren Wirtin auch von den lebhaft durcheinander redenden Gästen begrüsst worden war, aber ich weiss noch, wie ich staunte, als mir bewusst wurde, dass ich mich in einem Raucherrestaurant sass. Ich war von der Stimmung im Lokal so überwältigt, dass ich auf dem mir zugewiesenen Platz sitzen blieb.
Als ich den Migrossack mit den nicht verkauften Büchern in die Ecke der Bank gestellt hatte, war ich von einer etwas laut sprechenden Dame am Tisch gefragt worden, was ich da rumschleppen würde.
Nachdem ich bestellt hatte, war die unverwechselbare Wirtin plötzlich verschwunden und ich dachte, dass sie mir jetzt wohl meinen Stein heiss mache. Die Frau nebenan redete immer noch sehr laut und wie ich jetzt bemerkte, redete sie rundherum in das ganze Glarnerstübli hinaus. Jeder schien jeden zu kennen, man hänselte sich gegenseitig, erzählte Witze, klopfte Sprüche und die Gespräche wurden tatsächlich weit über die Tische hinaus durch das ganze Lokal geführt.
Kurz bevor meinen heissen Stein vorgesetzt bekam, betrat durch den Hintereingang ein Mann mit einem Ledermäppchen unter dem Arm die Gaststube.
Weil auch der Mann der danach hereinkam, eines dieser Mäppchen trug, dachte ich, möglicherweise sei gerade eine Kommissionssitzung oder eine Vereinsversammlung zu Ende gegangen.
Mittlerweile war es, als würden alle Gäste gleichzeitig versuchen, mit ihren Stimmen und ihrem Gelächter die Musik zu übertönen. Als die Bedienung, noch bevor ich fertig gegessen hatte, wissen wollte, woher ich sei, fühlte ich mich längst ein bisschen wie im Ausland.
Die Bedienung selbst stammte aus Rumänien.
Kaum hatte ich mein Besteck auf den Stein gelegt, kamen abermals ein paar Leute rein, grüssten in die Runde und eine Frau fragte mich auf Englisch, ob sie sich neben mich oben an den Tisch setzen dürfe. Ihr Begleiter hatte sich schon mir gegenüber gesetzt und lachte mich an, als wären wir die besten Freunde. Er lachte mich an und sagte mehrmals: Du hesch rächt! Ich verstand zwar nicht, was er mir sagen wollte, was nicht an der Sprache lag, denn er sprach die gleiche Mundart wie alle andern Gäste und für mich hätte er aus Glarus kommen können. Er behauptete aber, er sei eigentlich Kurde und zwar schon in der dritten Generation und dass er Schweizer sei, das wisse er sehr wohl. Weil er mich wieder anlachte und die Hand zum Einschlagen hoch hielt, fragte ich: Was lachst du eigentlich?
Das Leben sei Lachen, sagte er. Er könne über alles nur noch lachen. Auch über alle die sich hier drinnen befinden und dazu zeigte er mit der Zigarette in der Hand in die Runde. Auch über die Politik könne er nur lachen. Da kann ich nur lachen, wiederholte er und lachte.
Und als ich mit dem Kinn auf die Herren mit den Mäppchen am Tisch nebenan zeigte und fragte: Isch das dert Politik? Da drehte er sich um und noch lauter weiter lachend, nickte er: Genau, das si se!
Ich erfuhr dann, dass ich neben seiner Freundin sass. Er legte ihr die Hand auf den Arm, lachte und sagte, sie sei seit vier Monaten sein grosses Glück. Sie stamme aus Mazedonien, kennengelernt hätten sie sich in Sarajevo. Und ob ich Englisch sprechen würde? Dann solle ich seiner Freundin sagen, sie würde zu gut kochen, er werde dick. Dazu zog er sich den Pullover hoch und tätschelte sich seinen behaarten Bauch.
That’s what everbody says, sagte die Freundin an ihrer Zigarette ziehend, und er lachte weiter, erzählte auch noch von seinem Balkon, den er noch flicken müsse.
Wenn ich richtig verstanden habe, beruhte seine Unzufriedenheit mit den Behörden und der hohen Politik darauf, dass er sich als Schweizer fühle und es auch sei, aber nicht auf dem Papier. Er könne nicht verstehen, dass Kinder wie er, nicht automatisch eingebürgert würden und in dem Land, in welchem sie aufgewachsen seien und in welchem sie immer gelebt hätten und sich gar nicht vorstellen könnten, an einem anderen Ort zu leben, dass solche Kinder nicht automatisch eingebürgert würden und um die Staatsbürgerschaft betteln müssten, das sei einfach zum Lachen.
Und wieder lachte er.
Dann sagte die mazedonische Freundin etwas auf Englisch zu ihm und sie verschwanden, wie sie gekommen waren.
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In Sachen Glarnerstübli wäre noch zu erwähnen, dass mir die laute Frau, die hatte wissen wollen, was ich in meinem Migrossack rumtragen würde, mehrmals ungefragt ein Pommes Frites von meinem Stein klaute.
Das war unverwechselbaren Wirtin natürlich nicht entgangen und als ich aufbrach, entschuldigte sie sich für ihren Gast.
Ich hätte ja sicher einiges gesehen hier, hier innen, sagte sie.
Und auch die Bedienung verabschiedete mich auf das Freundlichste.
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Der Weg zurück zu dem unmöglichen Hotel führte mich durch stille Gassen aus einfachen, aber wohlerhaltenen Häusern. Mehrere schöne Brunnen plätscherten so friedlich, dass ich bei einem mit meiner Kamera eine Tonaufnahme machte.
Es plätschert schön das Wasser in Glarus.
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Auch die Kirche habe ich gesehen.
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In dem Pub, über welchem sich mein Hotelzimmer befand, trank ich noch ein Guiness und schaute zu, wie junge Herren mit Wurfpfeilen auf eine elektrische Scheibe zielten, wo allerlei Lichter aufleuchteten und unter beträchtlichem elektronisch klingelndem Tamtam, wer weiss nach welchen Kriterien, allerlei Punktzahlen aufleuchteten.
Mir fiel vor allem auf, dass die Radiomusik ähnlich wie im Glarnerstübli verdammt laut war. Der eingestellte Sender nannte sich Swiss Pop und schreckte nicht davor zurück, von sich selbst zu behaupten, er sende music pure, was mir wie eine ziemlich grosse Anmassung vorkam.
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Laute Musik gab es auch bei dem Coiffeur, den ich am Tag vorher um die Ecke vom Hotel gesehen hatte.
Es war orientalische Musik.
Auf dem Weg zum Bahnhof suchte ich ihn auf, damit mir in Elm mein Hut nicht wieder davonfliegen würde.
Beim Betreten des Ladens waren alle drei Coiffeursessel frei und ich konnte gleich meine Sachen ablegen und mich hinsetzen. Gerade als mir der bärtige Coiffeur den Hemdkragen nach innen faltete, um mit einem Klebeband den Plastiküberwurf an der Haut meines Halses zu befestigen, sah ich im Spiegel, wie zwei tamilisch aussehende Männer hereinkamen.
Der Coiffeur fragte:
Alles gut Bruder?
Alles gut Bruder! war die Antwort.
Die Musik war auch gut. Mein Haarschnitt kam auch gut. Etwas kurz an der Seite. Bekanntlich rasieren sich junge Männer mittlerweile gerne bis hinauf auf den Kopf.
Beim Bezahlen an der Kasse fragte ich den Coiffeur, was wir hier für Musik hören würden. Aus Kurdistan, sagte er, während er die Schublade der Kasse wieder reinschob.
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Als ich danach auf dem Weg zum Bahnhof durch den Stadtpark ging, wo die Zeugen Jehovas stehen und auf einigen Denkmälern und Steinplatten auch die Namen ausgewählter Zeugen lokaler Geschichte, sass mein Hut wieder fest auf meinem Kopf.
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Und im Coop neben dem Bahnhof kaufte ich noch eine Glarner Chämi-Salami. Die Frau an der Kasse fragte mich: Und Märggli sammlet Sie au?
Vielleicht der Herr hinter mir, sagte ich.
Ney, au nöd, dangge.
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Übrigens: Auf dem Globus neben meinem Schreibtisch ist Glarus zwar schwer zu finden, aber bitte, als Reisender sollte man die Tatsache nicht unterschätzen, dass es zum Beispiel in Schwanden eine blitzsaubere, öffentliche Toilette aus Chromstahl gibt.