Das schönste an Bern sind die Bäume.
Die jetzt wieder besonders zahlreich fotografierend durch Bern schweifenden Touristen und Touristinnen irren. Sie irren bei der Auswahl ihrer Motive. Das schönste an Bern ist nicht der Zeitglockenturm, auch nicht das Rathaus, nicht das Münster, nicht die Brunnen in den breiten Gassen und schon gar nicht das Loch mit den Bären.
Das schönste an Bern sind die Bäume.
Bekanntlich sind Gedichte oder Gespräche über Bäume nicht unproblematisch, wer aber meint, Bäume hätten deshalb nichts zu sagen, der hat ihnen noch nie zugehört.
Bäume reden keinen Blödsinn, können weder lügen noch prahlen, wollen niemandem etwas weismachen.
Bäume sind stets diskret und absolut un¬ermüdlich in ihrem langsamen Fleiss. Sie dienen den allerunterschiedlichsten Zwecken, sie sind dick und dünn, gross und klein, stattlich und zierlich, elegant und erhaben, je nach dem.
Auch wenn sie träge sind, haben Bäume viel erlebt, schon viel gesehen, trotzdem halten sie sich still, mischen sich nirgends ein, versuchen nichts zu verkaufen. Lärm und Umtrieb sind den Bäumen fremd.
Bäume verstehen etwas von Würde.
Bleibt man vor einem Baum stehen, um ihn zu bewundern, läuft er nicht weg, fasst man ihn an, mit der Hand am Stamm, schrickt er nicht zusammen. Bäume haben keine Angst, sie haben ein reines Gewissen und meistens einen guten Stand in der Welt.
Die Bäume sind nicht nur die Zeugen der Zeit, sie sind auch die hohen Herren der Stadt und ohne sie läuft auch in Zukunft nichts.
Aber bescheiden und still wie sie sind, sieht man sie nicht.
Könnten sie sich bloss bewegen, wie würde man sich doch verbeugen vor ihre Pracht.
Könnte man sie bloss einmal aufmarschieren lassen in einer Kolonne oder in Reihen formiert wie Zirkuspferde beim Einzug in die Manege. Könnte man sie bloss einmal die Kramgasse hinaufziehen lassen, könnte die Stadt der Welt bloss einmal zeigen, was sie hat.
Hinter der Bereitermusik kämen zuerst die Platanen vom Muristalden, dann die Ahornbäume vom Aargauerstalden, gefolgt von den Kastanienbäumen der Plattform, dazwischen die Riesen, die Exoten aus dem Rosengarten, aus der Elfenau, aus dem botanischen Garten und von der kleinen Schanze, dazu noch alle andern Prachtexemplare aus all den privaten und öffentlichen Gärten, und zum Schluss kämen noch Alp¬hornbläser und ganz am Schluss die Metallharmonie. Auch eines jeden Lieblingsbaum dürfte mitparadieren. Alle hintereinander, alle in ihrem üppigsten grünen Kleid, alle aufrecht, hoch und stolz!
Das gäbe ein Umzug!
Das gäbe eine Prozession!
Erschienen in «Anzeiger der Stadt Bern»