Sam FrancisUnd der junge Mann dort? Kaum mehr als dreissig Jahre alt und jagt mit ein paar schnell aufeinanderfolgenden Handbewegungen den Preis eines Kunstwerkes in Millionenhöhe. Er hob und senkte die Rechte, als würde er ein zweites Bier bestellen und nicht jedesmal 5000 Franken zusätzlich in eine unsichtbare Schale werfen.

Auktionsbericht eines Unbeteiligten.

Natürlich wäre es mir ein Vergnügen gewesen, mehr über diese Leute zu erfahren, über ihren Beruf, über ihre Herkunft. Viele von ihnen waren Deutsche, das hörte ich; dass vereinzelt Französisch, Italienisch und Englisch gesprochen wurde, konnte mir ebenfalls nicht entgehen, obschon mich auch dieser Umstand anfänglich kaum interessierte. Ich sah die Leute hereinkommen, Männer und Frauen, sah, wie sie nach ihren nummerierten Plätzen suchten, wie ich das auch getan hatte. Ich schenkte ihnen aber höchstens jene Aufmerksamkeit, die man für die hereinströmenden Besucher des Kinos übrig hat, in welchem man schon eine Weile sitzt und gespannt auf den Film wartet.
Als die Auktion dann eröffnet wurde, war der Saal aber plötzlich voll von faszinierenden, draufgängerischen Männern und Frauen, die im wahrsten Sinne des Wortes handelten. Und zwar radikal.
Schon bei der zweiten Nummer des Kataloges, einem Hauptwerk von Cuno Amiet, überboten sich zwei relativ normal aussehende Herren bis auf die Höhe von 460 000 Franken, und zwar eilten sie von den 200 000 Franken, die jemand zum voraus schriftlich geboten hatte, bestimmt zehn Mal schneller von 100 000 zu 100 000 als sie die Scheine von Hand hätten hinlegen können.
Genau besehen waren die Kunstfreunde, die sich an diesem heissen Sommertag im Auktionssaal versammelten, nachdem sie vorher in kleine Gruppen gegliedert noch kurz unter den schattenspendenden Bäumen im Garten gestanden hatten, sicher überduchschnittlich gut, wenn auch diskret gekleidet. Von Extravaganz keine Spur. Der Hitze wegen trugen einige Damen schulterfreie Blusen und Röcke, einige der Herren waren im kurzärmligen Hemd. Da war aber niemand, der mit schreierischen Äusserlichkeiten Aufmerksamkeit auf sich zu lenken versucht hätte.
Gefragt war dagegen die Aufmerksamkeit des Auktionators, der mit einem kleinen Hämmerchen in einem halben Nachmittag 100 Kunstwerke im Wert von zehn Millionen oder mehr Franken verklopfte.
680 000 zum ersten, 685000 hier vorne links, 690 000 hinten rechts! 695 000 und ich habe 700 000! rief er bei der Versteigerung eines Gemäldes von Ernst Ludwig Kirchner in den Saal.
Wer kann da noch mithalten?
Über die Reihen hinweg versuchte ich, mir die Leute so gut es ging genauer anzusehen.
Da war ein stämmiger Mann im hellgrauen Anzug, der aussah wie ein erfolgreicher Geschäftsmann. War er Verleger? Chef eines Medienunternehmens? Leiter eines Rüstungskonzerns? Und der junge Mann dort? Kaum mehr als dreissig Jahre alt und jagt mit ein paar schnell aufeinanderfolgenden Handbewegungen den Preis eines Kunstwerkes in Millionenhöhe. Er hob und senkte, sonst unbewegt mit übereinandergeschlagenen Beinen an seinem Platz sitzend, die Rechte, als würde er ein zweites Bier bestellen und nicht jedesmal 5000 Franken zusätzlich in eine unsichtbare Schale werfen,
Und warum hört diese Frau dort bei 840 000 plötzlich auf ihre Linke zu heben? Wenn sie so viel Geld bieten kann und dieses Gemälde von Kirchner wirklich will, dann kann es ja auf ein paar Tausend mehr oder weniger wirklich nicht mehr ankommen. Aber schon wunderte ich mich über eine andere Frau, die schwarz gekleidet, schwer und unbeweglich schräg vor mir sass. Während sie mit atemberaubender Zielstrebig¬keit den Preis eines Gemäldes auf über eine Million hochtrieb, sah ich zwar von ihrem Gesicht fast nur ihre kräftige, edel geschwungene Nase, aber ich wusste, dass sie nicht ein einziges Mal auch nur mit der Wimper gezuckt hatte.
Und dann eine kurze Pause. Der nächste Schatz wird aus dem Tresor geholt, kommt von zwei jungen Frauen in schwarzen Röcken und weissen Blusen getragen aus dem Nebenzimmer vor das Publikum und dort unter den Hammer. Die beiden Frauen machen dazu abwesend ernste Gesichter, sie nehmen sich zurück neben dem Bild, bei dem es sich zwar nur um ein Aquarell handelt, jedoch um eines aus der Hand eines ganz grossen französischen Meisters. Der gebotene Preis klettert denn auch spielend auf über 400 000 Franken hoch.
Und dann tragen die Auktionsassistentinnen ein buntes Kleinod von Sam Francis herein. Dark Blue on the Cross heisst dieses in den Saal strahlende Bild. Auch hier geht es, genau genommen, um ein bemaltes, auf einem Keilrahmen aufgspanntes Stück Stoff, trotzdem wird dafür eine Summe geboten, welche die meisten Menschen in einem ganzen Jahr nicht zu verdienen vermögen.
Und Hodler! Eine Herbstlandschaft, vermutlich aus dem Jahr 1911 steht im Katalog. Das Bild hängt hinter dem Auktionator an der Wand. Dort wird es abgehängt, vorgezeigt und dann wird es wieder an die Wand gehängt wie ein Hut, nachdem es in einer halben Minute für 350 000 die Hand gewechselt hat.
Später, als ich beim Bahnhof ins Tram steigen wollte, fuhr mir dieses gerade vor der Nase weg. Ich überlegte mir kurz, ob ich auf den nächsten Kurs warten sollte. Auch im Hinblick auf den für die kurze Strecke doch relativ teuren Fahrpreis von 1.50 Franken, entschied ich mich, zu Fuss nach Hause zu gehen.

Bern, Juni 1999