Dentist Society
Biljana Djurdjevic, Die Zahnarztgesellschaft

dramatisiert den Roman Wüthrich von Walter Vogt

Personen:Die Götter in Weiss.

Prof. Dr. Hans Wüthrich, Chefarzt …er war ein ungewöhnlich grosser und fetter Mann, der eine eigene Art zu schnauben hatte. (Husten)

Dr. Max Gygax, Oberarzt …sein eigenes Familienleben war untadelig, seine reiche Frau,die Baumeisterstochter, ein Putzteufel, die Kinder litten an Ekzem. Er selbst trank nicht, rauchte wenig, und wenn er rauchte, rauchte er Tabak. (Wiesbadener Kongress)

Reinald Huttenlocher, Assistenzarzt …ein typischer Assistenzarzt: mager,Brille, feine, etwas zu lange Nase, vier Kinder und kein Geld. (Wüthrich)

Die Engel in Weiss

Frieda Affentranger, Oberschwester
Dipl.AKP …sie steckte in flachen Schlarpen, die sie sich in Bologna besorgte; denn nur in diesem Weltzentrum des eleganten Schuhs fand sie Modelle für ihren Fuss. Sie beschleunigte ihren Schritt ungefähr wie eine Wachtel oder ein Rebhuhn, das flüchtet, sich jedoch nicht aufzufliegen getraut. (Wiesbadener Kongress)

Schwestern Klara, Elisabeth, Anna, Dipl. AKP Schwestern glauben bekanntlich weniger an einen Befehl als an tausend Möglichkeiten, einem Befehl zu widersprechen, zuwiderzuhandeln, ihn zu umgehen, zu relativieren, lächerlich zu machen, ad absurdum zu führen, in sein Gegenteil zu verkehren, zu ignorieren, und was man eben alles, ausser ausführen, noch mit einem Befehl anstellen kann. (Wiesbadener Kongress)

Sofie Wüthrich, Gattin des Professors Sofie ist seit Jahren tot. (Wüthrich)

Patientinnen und Patienten und Leichen

Felix Wieder Am Tag nach seinem einundvierzigsten Geburtstag fing er an zu husten. (Husten)

Der Baumeister Aufgedunsen und blau liegt er da. (Wüthrich)

Frau Gerber Ist herzkrank, hat auch Zucker und 67 Hühner. (W)

Frau Schüpach … hat eine schwere Operation vor sich. Sie besitzt 320 Hühner. (W)

Der Junge … starb an Lungenkrebs.

Das Mädchen … nur bei wenigen schlug die Senatoriumskur so gut an, dass sie länger lebten und monatelang zu sterben hatten. (W)

Herr Beck Ausser dem Blutdruck interessiert an Herrn Beck nicht mehr viel. (W)

Mayor Hüssy Seine Füsse befinden sich in Auflösung. Wenn er erzählt, warum er nicht Oberst wurde, schüttelt er sich vor lachen. (W)

Gärtnerjunge Schon wieder ein Bauch – der gesunde gebräunte Bauch eines kranken Jünglings. (W)

Martha Hadorn Frau Hadorn, die Gefährtin, kommt auf mich los, mit ausgestreckten Armen, Spinnenfingern, das Haar wirr um den Kopf, mit Nachthemd, Jacken, Leintüchern behangen. (W)

Vollenweider Die Suche nach dem Ursprung der Blutungen wurde aufgegeben, und man hielt ihn bis heute mit regelmässigen Blutransfusionen am Leben. (W)

Edgar Pfister Edgar ist Christus – das sieht man. (W)

Beim Frühstück legte ich Exsultate Jubilate von Mozart auf, eine alte Platte, die Michael uns zu Sofies fünfundfünfzigstem Geburtstag schenkte. (Wüthrich)

Freut euch, jubiliert,
ihr glücklichen Seelen,
indem ihr süsse Lieder singt;
eurem Lied antwortend,
singen die Himmel Psalmen mit mir.

Die freundlichen Tage leuchten,
es fliehen die Wolken und Stürme,
denn die rechtschaffene
und unerwartete Ruhe ist gekommen.
Ueberall regiert die dunkle Nacht.
Froh erhebe dich, du,
der du dich bis jetzt gefürchtet hast,
und freudig überreiche
dem glücklichen Morgenlicht
deine Hände voll Lilien.

Du Krone aller Jungfrauen,
gib uns den Frieden
Du bist bereit, die Leidenschaft
eines seufzenden Herzens zu trösten.

Vorspiel

Professor Wüthrich und Chor
Musik: Exsultate Jubilate

Wüthrich Zweihundertdreiundsechzig Gaststätten zählt die Stadt im Telefonbuch. Zweihundertdreiundsechzig Gaststätten zu siebenundfünfzig Gästen zu sieben Laufmeter Dünndarm, voll Huhn. Zweihundertfünfzigtausendmal sieben Meter Dünndarm zählt die Stadt mit den Vororten, dazu zweihundertfünfzigtausendmal zwei Meter Dickdarm, mit seinem Kot. Zweitausendzweihundertfünfzig Kilometer verdauender Darm, dreimal täglich, ein Lindwurm, ein Ungeheuer aus einem immensen Loch Ness, mit Ausschwitzungen sauerer, dann basischer Art – das frisst sich durch Hühner-Meere, Kohlrabimeere, Ozeane von Pommes frites, zu schweigen von den Landschaften von Cervelats, Brot und Bier, — frisst sich schlingend und schlängelnd mit zersetzenden Absonderungen durch den Staub – bis die ganz kleinen Würmer ihrerseits mit schlängelnden Bewegungen, geruchlos und blind, sich durch den Kadaver beissen.

Chor: Herr Professor…?

Wüthrich Ich bin eingeschlafen. Das gehört sich nicht.

Chor: Nicht im Mittelschiff des Berner Münsters. Nicht um diese Zeit, Herr Professor.

Wüthrich Ich war viel zu früh, viel zu früh, ich konnte nicht schlafen. Ich habe in der Altstadt für meine Frau Lilien gekauft und einen Spaziergang gemacht.

Chor: Schon auf der Münsterplattform sind Sie auf einer Parkbank eingeschlummert, Herr Professor.

Wüthrich Von der Gerechtigkeitsgasse ging ich in die Junkerngasse, mein Herz pochte bis in den Hals hinauf. Ich lauschte dem Brunstgekicher des Sperlings. Wie immer herrschte ein Hauch von Ewigkeit unter den Laubenbögen; Schwere Holztüren, Messingklinken, Adelshäuser, Arztausfahrten … rund um die Pfeiler gestreut das gelbe Pulver, mit dem Bruder Mensch nach Bruder Emse jagt, Bruder Schwerpunkt hält die Häuser beisammen, Quader auf Quader – Gotik, Bauernrenaissance, Barock.

Chor: Sie sind schon wieder eingenickt, Herr Professor. Hören Sie die Orgel nicht?

Wüthrich Fünf gelbe Lilien habe ich gekauft, auch beim Mosesbrunnen blieb ich stehen.

Chor: Und auch beim jüngsten Gericht im grossen Portal.

Wüthrich Unser Sandstein! Die Engel aus Sandstein. Die Apostel, die himmlischen Heerscharen. Kopfüber verschlungen dazwischen im Fegefeuer die Sünder.

Chor: Auf der einen Seite das Gute, Herr Professor, auf der andern Seite das Böse.

Wüthrich Und beides von Spatzen und gurrenden Tauben aufs Erbärmlichste verschissen.
(geht weiter)

Chor: Vergessen Sie Ihre Lilien nicht.

Wüthrich Unser Sohn Michael wollte beim jüngsten Gericht im grossen Portal immer das Schwert des Engels sehen.
Des Engels, von dem er seinen Namen hatte. Damals wusste ich noch nicht, dass ich unsterblich bin.

Chor: Auch Ärzte sterben, Herr Professor.

Wüthrich Ich werde euch alle überleben.
Alle.

Chor: Aber Herr Professor, sehen Sie sich an! Eingenäht in ihre wegsterbende Haut!

Wüthrich Ich werde euch alle überleben, alle.
Ich bin DER Arzt.

Chor: Diese Lilien werden Sie nicht mehr auf das Grab ihrer Gemahlin legen. Sie nicht, Herr Professor.

Wüthrich Ich bin DER Arzt.
Ich bin unsterblich.

Chor: Ihr Unterleib, Herr Professor.
Ihr Blutdruck.

Wüthrich Ich bin das A und das O, der Weg, die Wahrheit und das Leben. Ich bin der Herr, der heilt, ich bin der Arzt. ICH BIN DER HERR!

Chor: Herr Professor, die Lilien, Herr Professor; Sie schlummern im Gehen.

Wüthrich Was man nicht alles träumt in den Fanggruben des Schlafes.

Chor: Herr Professor, in der Klinik werden Sie dringend erwartet.

Erster Akt

Auftritt Wüthrich mit Hut und Mantel und Blumen unter dem Arm, gefolgt von Oberschwester. Auf dem Gang ist ein böser, brechender Husten zu hören.

Oberschwester So geht das die ganze Nacht , die ganze Nacht Herr Professor. Und das Beobachtungszimmer ist wieder nicht verfügbar, obschon auch das Beobachtungszimmer überhaupt nicht schalldicht ist. Schrecklich aufreibend dieser Husten. Man gibt sich ja so Mühe, Herr Professor. Auch Schwester Elisabeth. Man rackert sich ab bis Beine, Rücken, bis alles schmerzt. Hören Sie? Dieser Husten! Schon fünfzehn Jahre ist Schwester Elisabeth auf der Abteilung, Herr Professor, aber nichts lässt er sich von ihr sagen. Immer weiss Herr Assistenzarzt Huttenlocher alles besser. (Nimmt ihm die Blumen ab, hilft ihm aus dem Mantel) Schöne Lilien, wunderschöne Lilien, die sie ihrer Frau Sophie gekauft haben. Ihre Milch kommt gleich. Oberarzt Gygax wartet schon. Vier Sterbefälle letzte Nacht Herr Professor. Natürlich wusste man zu meiner Zeit noch, wie man als Schwester die Assistenzärzte in den Griff kriegt, trotzdem Herr Professor: Die zehnfache Dosis Xylokain! Und neulich spritzte er IV für subcoutan. Schwester Elisabeth mag ja knistern und im Dunkeln Funken sprühn. In ihrem Fall ist die neue Tracht sicher die schlechteste Wahl, aber dennoch, Herr Professor,auch Schwester Elisabeth sorgt dafür, dass möglichst viele Patienten an ihrer Krankheit sterben und nicht an der Therapie des Herrn Assistenzarztes Dr. Huttenlocher. Ihre Frau Schwiegermutter bleibt von bewundernswerter Frische. Und das mit 97. Die Abteilungsmädchen lesen ihr weiterhin jeden Wunsch von den Augen ab. Jeden Herr Professor. Da machen Sie sich mal keine Sorgen. Dafür sorge ich. Ihr soll gar nichts fehlen. Seit gestern Abend erbricht sie jedoch alles. Alles Herr Professor. Dieser Husten! Herr Wieder hustet wieder ohne Auswurf.
Wüthrich Mein Ohrensausen! Meine Sophie. Meine Oberschwester. Das bisschen Keuchen bei der Anstregnung hat noch keinen umgebracht. Meine Ohren. Mein Herz! Mein Ohrensausen! Was verstehen Oberschwestern schon von Ohrensausen. Mein Ohrensausen nimmt zu, mein Ohrensausen nimmt ab. Mein Gesicht. Lächelt mein Gesicht?

Oberschwester Nein, Herr Pofessor.

Wüthrich Und jetzt?

Oberschwester Ja, Herr Professor.

Wüthrich Meine Oberschwester. Meine Lilien. Mein Hut. Mein Mantel. Mein Aerztemantel. Mein Ohrensausen. Meine liebe Frau Sofie. Guten Tag Sophie, die Lilien sind für Dich.

Oberschwester Herr Professor, Ihre liebe Frau Sophie ist seit sechs Jahren tot.

Wüthrich Lilien, wie immer an Deinem Geburtstag. Ein heisser Tag, aber ich habe Deinen Geburtstag nicht vergessen.

Oberschwester Ich bitte um Entschuldigung, Herr Professor, aber das Pflegeteam. Der Herr Oberarzt. Die Studenten. Man wartet. Sie haben sich um mehr als eine Stunde verspätet.

Wüthrich Der Zustand meiner Gesichtsmuskulatur ist in der Tat besorgniserregend. (Geht zum Spiegel.)

Oberschwester Darf ich Herrn Dr.Gygax gleich Bescheid sagen? Auch Herr Wieder wartet seit einer Stunde.

Wüthrich Sie wollen wissen, warum ich freundlich lächle? Meine liebe Frau Oberschwester, ich läche immer freundlich, wenn ich meiner Frau Sofie einen guten Tag wünsche. Gibt es denn etwas Unerfreulicheres als einen, der griesgrämig guten Tag wünscht? Damit, ob der Angesprochene lebt oder nicht, hat das nichts zu tun. Guten Tag Sofie. Mein Ohrensausen kommt. Guten Tag Frau Oberschwester. Heute ist Sofies Geburtstag. Noch vergess ich`s nicht, noch kenn ich mich mit Daten aus. Frauen sind allerdings dafür bekannt, dass sie Jahr und Tag historischer Daten wissen und die Jahrhunderte verwechseln.

Oberschwester Verzeihen Sie, Herr Professor, Herr Wieder ist aber wirklich sehr krank. Ich kümmere mich um Ihre Milch.

Wüthrich Das ist ein Spital. Hier ist alles krank. – (Oberschwester ab.) In diesem Stuhl werde ich meine Organe wieder ordnen und sammeln. Es braucht seine Zeit, bis es der Lunge gelingt, Luft zu holen. (Setzt sich auf den Wagen mit dem Stapel Krankengeschichten.) Genügend Luft für alle Organe, inklusive Hirn. Ohne allzugrosses Seufzen und Gekeuche.

Wüthrich Sofie starb am 10. September. Folglich muss heute der 10. September sein. Gleich lässt das Ohrensausen nach.
Jeden morgen diese Anstrengung. Es muss mit dem Blutdruck zusammehängen. Es gibt nur wenig, das mit dem Blutdruck zusammenhängt. Meine Assistenten würden diese Aeusserung natürlich nicht verstehen. Meine Assistenten haben den Blutdruck messen gelernt, also muss der Blutdruck etwas bedeuten. (ruft) Schwester Frieda! Meine Milch! Und wo stecken die Herren? Der Herr Oberarzt! Die Assistenz! (Geht zum Wasserhahn, nimmt Tabletten, liest Packung) «Die angegebene Dosis darf nur auf ärztliche Verordnung überschritten werden». Wo nehme ich jetzt einen Arzt her? (lauscht) Ein herrlicher Husten. Husten Sie, Herr Wieder! Husten Sie! Hören Sie? Hören Sie, wie dieser Husten sitzt? Hören Sie, wie dieser Husten tobt und kracht in Herrn Wieders Brust! Wie der Husten hinauf durch die Trachea in den Rachen kracht und birst und schlägt, dass es Freude macht? So haben Sie noch nie gehustet. Als Kinder haben Sie sich vor dem Suppenlöffel mit Hustensirup gefürchtet, der Suppenlöffel kam, sie wollten nicht, der Löffel kam auf Sie zu, viel grösser als ihr kleiner Mund, Sie wollten nicht, Sie konnten nicht ausweichen, der Löffel drang in Ihren Kindermund: Schlüück daas! – abe drmitt! – soo! Ihr Hustenreiz, der blieb, auch ihre geröteten Kinderaugen blieben entzündet, aber so wie Herr Wieder haben Sie nie aus sich herausgekracht. Hören Sie! Ein schöner Husten! Frau Oberschwester! Herr Oberarzt! Vorhang auf für unseren schönen Husten! Meine Oberschwester! Mein Ohrensausen! Ich werde meinen forschungswütigen Herrn Oberarzt nach seinen Katecholaminkataboliten fragen. Guten Tag, Herr Gygax, wie geht`s denn unseren Katecholaminkataboliten. Bloss zur Kontrolle meiner Aussprache. Oh, er wird es weit bringen, mein forschungsgeiler Herr Oberarzt! Frau Oberschwester!

(Tür fliegt auf)

Oberschwester Ihre Milch, Herr Professor.

(Oberschwester ab. Auftritt Gygax mit fliegendem Aerztemantel, gefolgt von Assistenzarzt Huttenlocher.)

Gygax
Herr Professor…schönen guten Tag.

Huttenlocher Guten Morgen Herr Professor.

Wüthrich
Die Herren…guten Morgen. (Trinkt einen Schluck Milch.).

Huttenlocher
Prost! Sehr schöner Tag heute. Ueberhaupt ein fabelhafter September.

Wüthrich
Wir haben allerdings erst den Zehnten.

Gygax
Herr Wieder wartet.

Wüthrich
Und hustet.

Huttenlocher
Jawohl Herr Professor. Ein sehr schöner Septemberanfang.

Wüthrich
Gewisse Menschen sollten sich einfach nicht fortpflanzen.

Gygax
Ich bitte um Verzeihung aber…

Wüthrich Was ich sagen wollte, jawohl, wie geht es unseren Katecholaminkataboliten?

Gygax Danke für die Nachfrage, Herr Professor.

Wüthrich Ein sehr schöner Tag, heute Wieder.

Huttenlocher Gleich, Herr Professor. Auf der Stelle. (Ruft.) Herrn Wieder, bitte!

Wüthrich Und was denken Sie jetzt?

Gygax Ich?

Wüthrich Sie denken, wenn es mit dem Alten nur gut ausgeht.

Gygax Ich? Nein.

Wüthrich Jeder kann es sehen. Aber es wird gut ausgehen, mein Lieber. Der Alte spinnt, wagen Sie sich doch nicht mal zu denken. Was ich fragen wollte: Wie geht es eigentlich heute unseren Katecholaminkataboliten?

(Pfleger schieben Herrn Wieder herein. Wieder hustet gigantisch. Oberschwester folgt dem Krankenbett.)

Oberschwester Herr Wieder hustet. Und ohne jeglichen Auswurf.

Gygax Herr Wieder hustet wieder ununterbrochen.

Huttenlocher Immer wieder hustet Herr Wieder ununterbrochen.

Wüthrich Herr Wieder?

Gygax Herr Wieder.

Wüthrich Herr Wieder hustet wieder?

Wieder Leider, Herr Professor.

Wüthrich Hüsteln Sie mal ein bisschen.

Wieder Kann ich nicht, Herr Professor.

Wüthrich Können Sie nicht einfach einmal ein bisschen hüsteln! Frau Oberschwester, bitte noch ein Kissen für Herrn Wieder.

Gygax (liest aus der Krankengeschichte) Beginn, Tag nach einundvierzigstem Geburtstag, kleiner trockener, nervöser Husten. Die Röntgenbilder. (Huttenlocher prüft ein Bild)

Wüthrich Das war einmal. (Stopft sich Stethoskopoliven in die Ohren).

Gygax Husten nimmt zu, Husten fällt auf, Blutentnahme negativ. Husten stört Nachtruhe, Husten stört Kollegen Arbeit, Husten gefährdet Familienfrieden. Klammer Husten gleich Gebell. Auswurf null. Medikamentös kein Erfolg.

Wüthrich (am Krankenbett) Atmen Sie tief Herr Wieder! Ganz tief.
(klopft ihn ab) Husten! Husten!

Huttenlocher (Leise zu Oberschwester) Eine Expirationsanstrengung bei geschlossener Glottis.

Gygax Psychiatrische Abklärung Anraten Professor Wüthrich. Aufbauende Persönlichkeitstherapie Kollege Meyer-Stoos Klammer Ausrufzeichen.

Wüthrich Meyer-Stoos? Halten Sie den Atem an, Herr Wieder! Und?

Gygax Struktur Patientenpersönlichkeit freigelegt. Methode: Patient soll…

Wüthrich Hüsteln Sie! (Wieder hustet)

Gygax Methode: Soll immer husten, wenn Situation besonders unschicklich. Tabubruch, Zweck Tiefenforschung.

Wüthrich Da ist nichts.

Wieder (hustend) Im Münster wurde ich aus dem Bachkonzert geworfen, das Publikum murmelte Beifall. Vor Weihnachten!

Gygax Wiedereintritt Husten sechs Monate. Auswurf null. Röntgen Lungen Schatten rechts. Höhenkur. Kontrolluntersuchung Professor Wüthrich: Kleiner, trockener, nervöser Husten. Auswurf null.

Wüthrich Warum husten Sie bloss ohne Grund. Sie sollen nicht husten. Ich habe gesagt, Sie sollen nicht husten!

Wieder (entkräftet) Ich bestehe auf meinem Recht zu husten!

Gygax Zweituntersuchung / Consilium Operation Wien.

Wüthrich Wo haben Sie Schmerzen?

Wieder Ich habe keine Schmerzen. Aber im Münster wurde ich aus dem Bachkonzert geworfen! Das ja Herr Professor.

Wüthrich (hustet) Sie haben keine Schmerzen.

Huttenlocher Er hat keine Schmerzen.

Gygax Consilium identisch Wüthrich.

Wieder (hustet)

Wüthrich Sie sollen nicht husten. Es wird nicht gehustet ohne Grund. Ich bestimme hier, wann Sie zu husten haben!

Wieder (hustet)

Wüthrich Blutspucken?

Oberschwester Kein Blutspucken.

Wüthrich Auswurf?

Oberschwester Kein Auswurf.

Wüthrich (Zornig mit Röntgenbild) Wir finden nichts. Sie haben Husten sonst nichts.

Gygax Vielleicht sollte man aufmachen?

Huttenlocher Ja, ja, vielleicht sollte man aufmachen.

Wieder Wie? Was? Wo? (hustet)

Wüthrich Operieren. Operieren. Herr Wieder. Operieren, eingreifen, intervenieren. Sie aufschneiden. Einen grossen Eingriff veranstalten.

Gygax Kontrollaufenthalt verlängern?

Wüthrich Seit?

Oberschwester 17 Tagen, Herr Professor.

Huttenlocher Seit 17 Tagen. Genau.

Wieder Ich rechnete mit drei Tagen.

Huttenlocher Er rechnete mit drei Tagen.

Wieder Ich rechnete immer mit drei Tagen. Man hat mir versichert, dass ich nur mit drei Tagen zu rechnen hätte.

(Wieder mit Oberschwester und Huttenlocher ab.)

Wüthrich Auf Wiedersehen, Herr Wieder. Husten Sie! Husten Sie!*Husten Sie! Sonst sind Sie kerngesund.(Während er sich die Hände wäscht) Was glauben Sie, Gygax, werden sich auch Hühner eines Tages als Organspender profilieren?
– Das gibt eine schöne Operation. Für mindestens 15 Personen.

Gygax Hühner?

Wüthrich Schweine eignen sich besser, sie haben ein ähnliches Gewicht wie wir Menschen. Ich weiss, Sie lieben eher Hunde.

Gygax Jawohl, besonders Dackel.

Wüthrich So? Besonders Dackel. Ich mag Hunde überhaupt nicht. So oft ich frische Luft schöpfen gehe, gleite ich entweder auf Hundedreck aus oder die Köter meiner Nachbarn kläffen mich an. Ich frage mich, was geschehen würde, wenn sich ein Mensch so benähme – ein Kind beispielsweise.

(Gygax ordnet Krankengeschichten, Schweigen)

WÜTHRICH Wenn an heissen Sommertagen die Brennesseln dampfen und man die Hühner gackern hört, trostlos, als wären sie gleich nebenan, ist die Stille bösartig geworden und frisst sich ein wie ein Geschwür. Ein heisser Tag, die Luft ist scharf und klar wie Cognac, der Himmel ist blau. Es wird gehustet, aber der Morgen dringt durch die Fenster wie in ein Kinderzimmer. Die Vögel singen, zirpen, trällern, die Mutter klappert mit dem Frühstücksgeschirr, das Knäblein stellt sich lauter galoppierende Pferde vor und spielt dazu mit seinem Glied. Gygax!

Gygax Herr Professor?

WÜTHRICH Reissen Sie sich zwischenhinein mal einen ab, Herr Kollege?

Gygax Wie bitte? (Nimmt Stethoskop aus den Ohren)

Wüthrich Es gehört zum Elend des Alters, dass der Kalk sich verlagert, aus den Knochen, wo er dringend notwendig wäre, in die Wände der Blutgefässe und in das Gehirn, wo er nur Schaden stiftet. Wussten Sie, dass unser lieber Parkwächter Wegmüller eine Doppelprothese trägt. Er steht nicht auf eigenen Füssen. Ich habe ihm heute morgen 100.- Franken Trinkgeld gegeben. Halten Sie das für angemessen?

(Auftritt Oberschwester)

Oberschwestern gibt man kein Trinkgeld.

GYGAX Die Gehirnerweichung?

Oberschwester (Schaut von Wüthrich auf das Krankenbett, das hereingeschoben wird.) Das Badezimmer.

GYGAX Der Baumeister.

WÜTHRICH (Trinkt den Rest seiner Milch) Die Milch ist nicht mehr kühl und schmeckt nach Medikamenten. Ist es nicht verboten, alles im gleichen Kühlschrank aufzubewahren? Prost Herr Kollege. Wie geht es eigentlich Ihrem Magengeschwür?

GYGAX Sie verwechseln mich, Herr Professor. Assistenzarzt Huttenlocher hat ein Magengeschwür.

WÜTHRICH Aber er glaubt es nicht. Er verweigert seinem Magengeschwür in seinem Bewusstsein jede Existenzberechtigung. Aber Kollege Huttenlocher irrt!

(Auftritt Huttenlocher )

Huttenlocher Wenn, dann ein sehr zahmes.

Gygax Ganz Ihrer Meinung, Herr Professor.

Wüthrich Huttenlocher misstraut in dieser Hinsicht sogar meinem klinischen Blick, was ihm noch gewaltig schaden kann. So verbohrt ist er in seine Gesundheit. (Stellt Milchglas ab.)

Oberschwester Vorsicht , die Krankengeschichte Baumeister.

Wüthrich Ein Milchmond. Tant pis …

Oberschwester Bitte Herr Professor. (Reicht ihm Fieberkurve) …Ööii Schwigermuetter. Ihre Frau Schwiegermutter. Wie ich bereits erwähnte.

Wüthrich Ach das Befinden von Madame la Belle-Mere, das sie zu erwähnen müssen meinten. Sie ist 97 und gedenkt uns alle zu überleben. Sie wird doch täglich gemessen und gewogen? (Alle nicken, Wüthrich betrachtet Fieberkurve) Kein Zweifel: Madame la Belle-Mere schrumpft. Naturwissenschaftlich nach dem Meter-Gramm-Sekunden-System. Sie schrumpft, aber geistig ist sie von wundervoller Frische und wird uns alle überleben, zeitlich, ewiglich. Was wollten Sie von meiner Schwiegermutter sagen?

Gygax Dass sie alles erbricht, Herr Professor.

Oberschwester Alles, was sie zu sich nimmt.

Gygax Seit gestern Abend, Herr Professor.

Wüthrich Ach wie überraschend, ein völlig neuer Aspekt. Lassen Sie mich überlegen! Wissen Sie was, Gygax? Am besten rufen Sie gleich einen Arzt. Irgendwo muss doch ein Arzt aufzutreiben sein. Mich interessiert nur, ob sie schrumpft. Wir wollen aber die Damen und Herren nicht mit Madame La Belle-Mere langweilen. (Oberschwester beginnt zu weinen) Gut, gut, ich werde nachher zu ihr gehen und ihren Bauch betasten. Durch das Nachthemd, versteht sich. Sie befürchtet, man wolle sie umbringen. Gewisse Patienten glauben immer, man wolle sie umbringen. So ein Unsinn! Dazu sind sie viel zu interessant und der Befund der Leichenöffnung dagegen viel zu nichtssagend. Bitte melden Sie meiner lieben Frau Schwiegermutter, mit dem bisschen Baldrian hätte ich noch keinen umgebracht. (Oberschwester ab) Mein Ohrensausen! Und wen haben wir hier? Den Baumeister. Sagen Sie mal, Gygax, gönnen Sie sich auch genügend frische Luft? Kommen Sie raus in die organische Luft unserer Wälder mit Ihrem Dackel?

Gygax Herr Professor, Sie wissen, die Familie, die Zeit.

Wüthrich Die Forschung. Ich weiss. Aber der natürliche Zweck dieser servilen Kreaturen ist zu bellen, wo der Hundebesitzer kuscht; zu kuschen, wo der Hundebesitzer brüllt. (brüllt) Ich bin für ein Hundeverbot im ganzen Gebiet der Schweizerischen Eidgenossenschaft!

(Auftritt Oberschwester, sehr erregt)

Oberschwester Herr Professor! Bitte! Der Junge mit dem Bronchialkarzinom!

Wüthrich Gygax, möchten Sie nicht endlich zum Rapport übergehen?
Rapportieren, Herr Oberarzt!

Gygax Der Baumeister, Herr Professor. Das Badezimmer von letzter Nacht.

Oberschwester Der Junge! Ich bitte Sie Herr Professor.

Wüthrich Aha, der Herr Baumeister. Guten Tag Herr Baumeister. Und? Wie fühlt man sich an diesem schönen l0. September?

Huttenlocher Die Frau Oberschwester, Herr Professor. Es geht um das Bronchialkarzinom.

Wüthrich Ich sehe, Sie klammern sich fest am Kreuz.

Gygax Der Herr Baumeister ist tot, Herr Professor.

Wüthrich Der Baumeister ist tot.

Gygax Der Baumeister ist tot.

Oberschwester Herr Professor, ich muss Sie dringendst sprechen.

Huttenlocher Die Frau Oberschwester muss Sie dringendstens sprechen, Herr Professor.

Wüthrich Auch Baumeister sterben. (Greift nach dem Kreuz in der Hand des Toten.)

Oberschwester Für den Jungen ist das unzumutbar, entschieden unzumutbar.

Wüthrich Stirbt er? Sie wissen, was Sie zu tun haben.

Oberschwester Das können wir ihm nicht antun, Herr Professor.

Wüthrich Bei mir wird im Badezimmer gestorben. Bei mir wurde schon immer im Badezimmer gestorben.

O.. Aber er erstickt so unglaublich langsam, mit Aechzen und Stöhnen und das bei vollem Bewusstsein. Wie können wir ihn jetzt ins Badezimmer bringen, er muss doch bemerken, was das bedeutet.

WÜTHRICH Ich will dafür sorgen, dass er im Badezimmer stirbt.

Oberschwester (Hält Wüthrich zurück) Es ist so unpraktisch, das Badezimmer ist vollgestopft mit überzähligen Zimmerpflanzen, mit Staubsaugern. Dort haben die Abteilungsmädchen ihre Garderobe. Es ist für sie nicht lustig, sich neben Sterbenden umzuziehen.

WÜTHRICH Ist es etwa lustiger, neben sich Umziehenden zu sterben? Wo möchten Sie denn sterben, wenn nicht im Badezimmer? (Oberschwester wendet sich ab) Und Sie Herr Oberarzt? Und Sie, Huttenlocher?

GYGAX Ich möchte überhaupt nicht sterben.

Huttenlocher Natürlich nicht.

WÜTHRICH Bei mir wurde immer im Badezimmer gestorben. Bei mir ist auch schon ein Generalstabschef im Badezimmer gestorben. Jawohl, neben Staubsaugern und sich umziehenden Spanierinnen ist er gestorben der Herr Generalstabschef!

O.. Entschuldigen Sie, exgüsee, Herr Professor, aber Herr Professor, eine derart sinnlose Grausamkeit!

WÜTHRICH Nennen Sie mich bitte nicht zweimal Professor, wenn ich es doch nur einmal bin. (Zerrt an dem Kreuz in der Hand des Toten)

Oberschwester Meiner Meinung nach eine absolut sinnlose Grausamkeit.

WÜTHRICH Ist nicht jede Grausamkeit sinnlos? In dieser Welt haben wir einzig die Wahl, gegen wen wir grausam sein wollen, Frau Oberschwester. Und ich halte darauf, dass in meiner Klinik im Badezimmer gestorben wird. Denn in meiner Klinik ist Sterben gar nicht vorgesehen. Deshalb wird es nie ein Sterbezimmer geben. Nicht in meiner Klinik. (Oberschwester weint)
.
Gygax Sie sind überarbeitet, ich weiss.- Die Frau Oberschwester braucht ganz dringend Urlaub. Sehr verdiente Ferien wie mir scheint.

WÜTHRICH Jetzt steht mein Oberarzt auch noch auf Ihrer Seite! Ist das eine Verschwörung? Sofort ins Badezimmer mit der Lungengeschwulst! (Versucht dem Toten das Kreuz zu entreissen, Oberschwester ab.) Wo bleibt der Rapport?

Gygax Folgendes gilt es zu beachten…

WÜTHRICH Ein Katholik.

GYGAX Der zyanotische Zustand verweist auf Gewebewassersucht bei kongestiver kardiologischer Insuffizienz fortgeschrittener Art.

WÜTHRICH Guten Tag Herr Baumeister.

GYGAX Der Herr Baumeister ist tot.

WÜTHRICH Ich weiss, dass der Baumeister tot ist. Ist es jedoch verboten, einen rechtschaffenen, von allen geachteten Bürger unserer Stadt angemessen zu begrüssen, bloss weil er zufälligerweise tot ist?

GYGAX Nichzt zufälligerweise, Herr Professor. Wenn auch Unschärfe das terminale Krankheistsbild verzerrt, entzieht sich die medizinische Sachlage keineswegs unserem Zugang.

WÜTHRICH Wir wissen nicht woran er starb.

GYGAX (Wühlt in der Krankengeschichte) Aufgdunsen, ödemisiert, die Beine voller Wasser, liegt er hier vor uns. Möglicherweise wurde dem Patienten beim Baden ein Herzfehler zum Verhängnis.

WÜTHRICH Wir wissen nicht, woran der Baumeister starb. Todesurasache unbekannt. Todesort?

GYGAX Das Badezimmer.

WÜTHRICH (An dem Kreuz zerrend) Rechthaberisch ist er. Rechthaberisch wie alle Toten.

GYGAX Gestatten Sie, Herr Professor. Dem Patienten muss beim Baden sein Herzfehler zum Verhängnis geworden sein.

WÜTHRICH Wir wissen nicht, woran er starb.

GYGAX Mit Verlaub , Herr Professor, der Schock des kalten Wassers. Wir müssen unbedingt Kammerflimmern in Betracht ziehen.

WÜTHRICH Herr Doktor Huttenlocher, ich zweifle nicht an ihrer fachlichen Kompetenz. Ich zweifle nur – denn Ihre fachliche Kompetenz ist über jeden Zweifel erhaben – ich zweifle an ihrem Verstand. Ich wünsche, dass der Baumeister seziert wird, Herr Doktor Huttenlocher.

GYGAX Ich bin nicht Doktor Huttenlocher, Herr Professor.

WÜTHRICH Seziert! Seziert auch gegen den Willen der Familie. Sie brauchen gar nicht zu nicken wenn Sie schon nicht Doktor Huttenlocher sein wollen. Ich meine es! Ich wiederhole: Seziert! Auch gegen den Willen der Familie. Oder gerade gegen den Willen der Familie.

GYGAX Die Familie wird sich mit allen Mitteln dagegen wehren.

WÜTHRICH Im Dienst der Wissenschaft kennt der echte Forscher keine Einschränkungen. So etwas macht der echte Forscher notfalls auch durch die vorhandene Narbe einer Gallensteinoperation. Ich werde mich nach dem Resultat der Leichenöffnung erkundigen. Niemand soll sich einbilden können, ich hätte vergessen, dass bei Zweifeln an der Todesursache eine Sektion zu beantragen ist. Wie ist die Leichenöffnung verlaufen? Was hat die Autopsie nun ergeben? Täglich, täglich werde ich Sie danach fragen. (Sucht eine Sitzmöglichkeit) Mein Ohrensausen. Wo ist meine Oberschwester? Wo sind meine Patienten? Ich bin Professor Doktor Wüthrich, Spezialarzt für innere Medizin, für Obstipation und andere Enddarmgeschichten. Kein Blick aus den Augen der Unheilbaren erschüttert mich mehr.

GYGAX Herr Professor, die Herzinsuffizienz würde in sich allein einen plötzlichen Tod nicht ausschliessen.

WÜTHRICH Mein Ohrensausen! Nein, Herr Doktor Huttenlocher, darüber, ob man mit dem Auto Zeit gewinnt oder verliert, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Aber ich habe die bessere Hälfte der Stadt vor mir gehabt. Nackt! Die halbe Stadt wollte sich vor mir ausziehen, ihre Bäuche und Schösse und Brüste von meinen Händen untersuchen lassen. Und jetzt wagt man es doch hier zu versäumen, mich über die Lungengeschwulst auf dem Laufenden zu halten. Frau Oberschwester! Schwester Frieda! Frau Oberschwester Frieda Affentranger! Denken Sie, mein Gdächtnis sei bereits derart heruntergekommen, dass ich den krebskranken Jungen vergesse? (Keucht und schwitzt. Beachtet das Bett, auf dem Frau Gerber von Schwester Klara heringeschoben wird erst wenn die herunterhängenden Beine in sein Blickfeld kommen.) Varizen wie Emmentaler Schweinswürste. Wem gehören diese monumentalen Krampfadern?

Frau GYGAX Grüässäch Herr Profässer, grüässäch wou Herr Profässer./Grüss Gott Herr Professor.

WÜTHRICH Gewisse Aspekte der Medizin berühren mich längst nicht mehr. Ich hatte die besseren Kreise dieser Stadt nicht nur allesamt vor mir, ich habe ihnen auch eingespritzt. Alles was sie wollten, wo sie es wollten habe ich den besseren Kreisen dieser Stadt eingespritzt.

Schwester Klara Lieget numä wider ab, Frou Gärber. Mir fahrä nüm wyter. Es wird drum dr Frou Gärber gärn sturm./ Legen Sie sich ruhig wieder hin Frau Gerber. Wir fahren nicht weiter. Frau Gerber leidet nämlich leicht an Schwindelanfällen.

Frau GYGAX Uh Dir Schwöschter … We Dir däräwäg mit däm Näscht um d Egge pfuret. Nöiä strüber aus dr Ma früächer mit äm Töff./ Aber Schwester, wenn Sie mit diesem Bett derart um die Ecken sausen , schlimmer als mein Mann früher mit dem Motorrad.

GYGAX (Mit Krankengeschichte) Die offenen Geschwüre, die Varizen von Frau Gerber, bei diesem unheilbaren Herzfehler in der Tat ein hartes Los. Bauch und Beine voller Wasser. Aber gäuät, Sie halten den Kopf hoch, gäuät Frou Gärber?

Frau GYGAX Jähh, söuii nid abligä?/ Ja, soll ich mich nicht hinlegen?

Wüthrich Alle Herzkranken sind unheilbar, alle, aber deswegen braucht man es ihnen noch lange nicht unter die Nase zu reiben. Ich weiss auch, dass Frau Gerber ausserdem zuckerkrank ist und sich über unsere Diätvorschriften hinwegfrisst. Jawohl, auch das weiss ich.

Frau GYGAX Ja, Chabis u Bohnä u Rüäbli u Fänchu u Spinät. / Nichts als Kohl und Bohnen und Möhren und Fenchel und Spinat.

Schwester Klara Wenn Sie gestatten, Herr Professor, die Spitalkost. Die Spitalkost für unsere Frau Gerber.

Frau Gerber U Gurkä u Tomatä u Salat u Rättäch u Zibäla./ Und Gurken und Tomaten und Salat und Rettich und Zwiebeln.

WÜTHRICH Jawohl, Frau Gerber frisst zuviel.

Schwester Klara Nur Rohgemüse für eine Frau vom Bauernhof. Was sie von Haus aus gewohnt ist.

WÜTHRICH Diese üppigen Speckplatten, die Apfelküchlein, die dicke Sahne auf der Milch.

Frau Gerber U Schwarzwurzlä u Radiesli u Louch u Peterlig u Bluämächöli./ Und Schwarzwurzeln und Radieschen und Lauch und Petersilie und Blumenkohl.

Schwester Klara Und jetzt nichts als Rohgemüse.

WÜTHRICH Uns sind die auf den Bauernhöfen vorherrschenden Sitten sehr wohl bekannt, Schwester: Wer nicht essen kann, kann nicht arbeiten.

Gygax Sagen Sie uns, Frau Gerber, was bestellen Sie, wenn Sie nachmittags die Konditorei an der Ecke besuchen? Bleibt es bei einer Tasse Pfefferminztee?

Wüthrich Frau Gerber ist totkrank und frisst zuviel.

Schwester Klara Aber nur auf Grund viel zu strenger Diätvorschriften.

Gygax Sagen Sie uns, Frau Gerber, was bestellen Sie zu Ihrer heissen Schockolade mit Sahne?

Frau GYGAX Jäh öppa mängisch äs Stückli Chuächä. / Vielleicht ab und zu ein kleines Stück Kuchen.

GYGAX Und was bestellen Sie nach dem zweiten Stück Schwarzwäldertorte, das sie mit der zweiten heissen Schockolade zu sich nehmen?

Frau GYGAX Jäh öppa einisch no ä Cremeschnitte./ Manchmal vielleicht noch eine Sahneschnitte.

GYGAX Und dann? Was bestellen Sie nach der Sahneschnitte?

Frau Gygax Jäh öppa einisch no so nä Mohrächopf, aber de säutä meh aus einä. / Also manchmal noch einen Mohrenkopf, aber selten einen zweiten.

GYGAX Und danach?

Frau GYGAX Jäh auso de gwüss nüt meh./ Also wirklich nichts mehr.

GYGAX So? Sägäts de rächt, Frou Gärber./ Sind Sie ganz sicher, Frau Gerber?

Frau GYGAX Ig mögt mi gwüss nüm bsinnä, dass ig aubä no öppis mögti. / Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jeweils noch auf etwas Lust hätte.

Gygax Und die Mailänder, haben Sie die vergessen?

Frau Gerber D Mailänderli?

Gygax Ja, d Mäiländerli.

Frau Gerber Jö diä paar Mäiländerli, diä si ja gar munzig u diä lan ig mir doch la iipacke zum mitnäh. / Also die paar kleinen Mailänder, die sind ja gar winzig und die lasse ich mir einpacken zum Mitnehmen.

Gygax Da haben wir s.

Wüthrich Was Sie alles mitbekommen, alle Achtung Gygax! Alle Achtung.

Gygax Es hat sich schon ergeben, dass ich zufälligerweise meinen Kaffee zur selben Zeit in der Konditorei an der Ecke trank.

WÜTHRICH Keine falsche Bescheidenheit! Alle Achtung! Sie sind und bleiben der geborene Forscher. Wie geht es eigentlich unseren Katechosalamin… unseren Katecholaminkataboliten? Auf Ihre Art sind Sie ja nicht unbegabt, Frau Gerber haben Sie äusserst aufmerksam beobachtet. Überhaupt erstaunlich, was ein so kleines Organ wie Ihr Gehirn alles registriert.

Gygax Schwester Klara, wir werden der Patientin weiterhin Digitaline Nativelle verabreichen.

Wüthrich Und doch enttäuschen Sie mich, Gygax! Ihr Rumschnüffeln in Konditoreien in Ehren, erraten können aber muss man Patienten!

Gygax (unbeirrt) Digitaline Nativelle, ein sehr bewährtes Herzmittel.

Huttenlocher Und in unveränderter Dosis?

Gygax Dreimal drei Tropfen täglich, obschon zweimal fünf für die Abteilungsschwestern einfacher wären, denn sie müssen unbedingt danebenstehen weil Frau Gerber ihre Medikamente nur unter Kontrolle tatsächlich zu sich nimmt. Ich weiss es wohl, Schwester Klara, daran aber wird uns Frau Gerber nicht wegsterben – gäuät nid, Frou Gärber? – dafür werden wir sorgen, denn Frau Gerber wird sich auch von ihrer ungeklärten Blutsenkungsgeschwindigkeit nicht kleinkriegen lassen.

Frau Gerber Bluämächölie u Schwarzwurzlä u Meerräätich u Lattlech u Hasächölie u Spinet u Louch u Randesalat, Randesalat, Randesalat, Randesalat, Salat, Salat, Salat, Salat.

Wüthrich Ich weiss, dass Frau Gerber eine ungeklärte Blutsenkungsgeschwindigkeitserhöhung aufweist.

Gygax Über 80 zu l20 in der ersten Stunde!

Wüthrich Soll ich dazu etwa auch noch etwas sagen? Sollen Frau Gerbers Blutkörperchen ruhig Wettrennen veranstalten. Sie können doch nicht erwarten, dass ich zur Blutsenkungsgeschwindigkeit von Frau Gerber auch noch etwas sage. Ich habe noch nie einen Professoren gefunden, der zu einer ungeklärten Blutsenkungsgeschwindigkeitserhöhung etwas Treffendes zu sagen gewusst hätte. Nie Herr Oberarzt. Frau Gerber ist unheilbar – aber sie ist angenehm unheilbar. Sie stirbt nicht daran. Daran nicht. – Wieviele Kinder haben Sie, Frau Gerber?

Frau Gerber Füfi Herr Profässer, auso dr Fritz isch scho mit sibni gstorbä, dr Hans u dr Bendicht si uf äm Hof, diä beidä angere hei usäghüratet. / Fünf, Herr Professor, das heisst, Fritz starb mit sieben Jahren, Hans und Bendicht sind auf dem Hof, die beiden andern sind sonst verheiratet.

Wüthrich Und Enkel?

Frau Gerber Grossching? Eufi, nei, was sägeni o. Es si sogar zwöufi. / Elf, nein sogar zwölf.

Wüthrich Zwölf. Eine schöne Zahl. Zwölf wie die Apostel. Machen Ihnen die Enkel Freude, Frau Gerber?

Frau Gerber Ömu meh aus d Hüäner. / Jedenfalls mehr als die Hühner.

Wüthrich Wie viele Hühner haben Sie denn?

Frau Gerber Numä sibenäsächzgi, iitz im Septämber. Es isch äs Eländ. U de hout no dr Hüänervogu fasch jedä Tag eis. / Nur 67, jetzt im September. Es ist ein Elend. Und fast täglich holt sich noch der Habicht eins.

Wüthrich Sie müssen trotzdem noch einige Tage bei uns ausharren.

Frau Gerber Es isch doch immer ds Glychä. Jedi Wuche heisst s wider numä no äs paar Tag. / Es ist immer das gleiche. Jede Woche heisst es, nur noch ein paar Tage.

Wüthrich Aber Frau Gerber, eine Woche ist auch nicht mehr als ein paar Tage.

Frau Gerber Aber immer vorzuä wider nöi. Itz bin ig scho meh aus sibä Wuchä i däm Spitau. / Aber immer wieder. Jetzt bin ich schon mehr als sieben Wochen in diesem Spital.

Wüthrich Was sind schon sieben Wochen gegen die Ewigkeit! Ich weiss, es ist schwer so lange von Mann und Söhnen und Hühnern fernzubleiben. Aber die Gesundheit geht vor, Frau Gerber! Eine kranke Mutter ist keine Mutter für Ihren Hof, für ihren Mann und für ihren Hans und Ihren Bendicht. Sie müssen gesunden, Frau Gerber! Sehen Sie, es ist ganz einfach: Sie helfen uns, ich helfe Ihnen. Denn ich bin der Arzt..

Frau Gerber (weinend) Es chunnt nüm guet, Herr Profässer, äs chunnt nüm guät, schicket mi doch wider hei. Es wott eifach nüm. /Ich werde nie mehr gesund, schicken Sie mich doch nach Hause.

(Gygax mit piepsendem Sucher ab.)

WÜTHRICH Sie werden gesund werden, Frau Gerber. Aber das braucht Zeit, Geduld und einen festen Glauben.

Frau Gerber (Faltet die Hände wie zum Gebet) Blumächölie u Schwarzwurzlä u Meerrättech u Lattlech u Hasechölie u Spinet u Louch u Randesalat.

Wüthrich Zu welchen Gott beten Sie, Frau Gerber? (Schwester Klara und Huttenlocher wenden sich kichernd ab.) Wohl denen, die nicht sitzen auf der Bank der Spötter. Ich werde Sie heilen, Frau Gerber.

Schwester Klara (Legt Frau Gerber die Hand auf die Stirn.) Entspannen Sie Frau Gerber. Wieviel Insulin, Herr Professor?

Wüthrich Ich will heilen, Schmerzen lindern, Wunder wirken. Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Ich mache die Kranken gesund, ich mache die da trauern glücklich, ich mache die Hässlichen schön! Ich bin der Arzt.

Schwester Klara Wieviel Insulin, Herr Professor?

Wüthrich Wollen Sie sich mit technischen Fragen und anderen Nichtigkeiten bitte vertrauensvoll an Herrn Oberarzt Gygax wenden. Frau Gerber interessiert mich nicht. Mich intressiert einzig und allein das Bronchialkarzinom. Ist der Junge nun endlich ins Badezimmer gebracht worden wie ich es befohlen habe?

(Auftritt Oberschwester)

Ob er endlich im Badezimmer sei?

Oberschwester Der Junge ist auf dem Weg ins Badezimmer erstickt , Herr Professor. Der Junge ist tot.

WÜTHRICH Starb er im Badezimmer? (Schweigen) Alles ist sinnlos. Es ist sinnlos, den Jungen 16 werden zu lassen, damit er an einer Lungengeschwulst verendet. Es ist sinnlos, seine Leiche zu öffnen und die Organe mikroskopisch untersuchen zu lassen – alles ist sinnlos, denn ich werde mich nicht darum kümmern, weil es unterlassen wurde, den Jungen ins Badezimmer zu legen. Ich werde mich nicht darum kümmern, weil man sich gegen mich verschwört! (Huttenlocher, Schwester Klara und Oberschwester mit Frau Gerber ab.) Hörst Du, Sofie? Man verschwört sich gegen mich in meinem eigenen Haus. Aber Deinen Geburtstag habe ich nicht vergessen. An der Gerechtigkeitsgasse habe ich Dir in einem Blumenladen Lilien gekauft.

(Auftritt Der Junge)

Was suchen Sie hier? Was willst Du?

Der Junge Oh,es freut mich, wenn ich auf Menschen stosse. Auf gesunde Menschen.

WÜTHRICH Weist Du., wo wir uns befinden?

Der Junge Im Inselspital.

WÜTHRICH Weisst Du, wer ich bin.

Der Junge Professor Wüthrich, vermutlich.

Wüthrich Bist Du verabredet? Wilsst Du ein Organ spenden?

Der Junge Meine Lunge ist futsch. Meine übrigen Organe von Metastasen bedroht.

WÜTHRICH Auf zwei oder drei Organe mehr oder weniger kommt es auch nicht an.

(Auftritt Das Mädchen, gefolgt vom Pflegeteam, das den Jungen nicht sieht.)

Der Junge Als Sie mich im Badezimmer krepieren liessen, wusch sich gerade eine Spanierin den Putzschweiss aus den dicht behaarten Achselhöhlen.

WÜTHRICH Die Lungengeschwulst. Das Bronchialkarzinom! – Ich werde Dich heilen, denn nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. Gehet hin und lernet, was es heisst: Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer.

Der Junge (zeigend) Das Mädchen, Herr Professor. Glaubten Sie anfangs wirklich an Tuberkulose? In die Höhe, in ein Senatorium haben Sie das arme Mädchen verfrachtet.

GYGAX Die Patientin ist bewusstlos. Sie leidet an einer bemerkenswerten Entgleisung der normalen Blutbildung.

Wüthrich Hier machen wir nichts mehr.

Huttenlocher Man nennt diese Krankheit allgemein Weissblütigkeit oder Leukämie.

Der Junge Oder einfach Krebs, Herr Professor. Krebs.

Gygax Erste Anamnesen verweisen auf anhaltende Müdigkeit.

Der Junge Sie war immer nur müde. Und erst l9, Herr Professor. Sie versuchten zart zu sein, um die unverwechselbare feine Spinnwebhaut nicht zu verletzen.

WÜTHRICH Die Untersuchungen waren unvermeidlich. (schnuppert) Ich rieche Blut. (Schwester Elisabeth säubert den von Zahnfleisch Blutungen verkrusteten Mund der Bewusstlosen.) Ich habe genug wächserne lächelnde Gesichter von toten Kindern gesehen! Man meint, sie schlafen. Sieht man jedoch genau hin, sind die Wimpern verklebt, und aus dem Mund tritt ein bräunlicher Saft. (schnuppert) Blut.

Der Junge Der bekannte Geruch.

WÜTHRICH Der klebrige Saft mit dem bekannten Geruch nach Eisen und frischgepflügter Erde. – Und? Gygax? Was sagen Sie jetzt? Sie sind nicht Gott.

GYGAX Die in klinischen Studien manifestierten Erfolgsquoten von über 64% liessen … liessen Raum für Zuversicht. Insbesondere der neue pharmokologische Angriffspunkt, der Wirkungsmechanismus auf die multifaktorielle Pathogenese …

WÜTHRICH (zu dem Jungen) Mein Oberarzt war stets ein Freund umschweifender Formulierungen. – Ich folge Ihren Ausführungen spielend, Herr Gygax. Sie haben alles versucht. Warum wollten Sie nicht glauben, dass das Mädchen stirbt? Es gehört zu den 36% der Fälle, in welchen Ihr Wundermittel nicht wirkt.

Der Junge Ein schäbiger Trost.

Gygax In Anbetracht der diagnostizierten Hyperpyrexie verringern sich die Aussichten unserer jungen, bewusstlosen Patientin…

WÜTHRICH (unterbrechend) Genau so nennt man das: Hyperpyrexie. Richtig. Extrem hohes Fieber. Aber die Geheilten und die Ungeheilten werden weiterhin 100% ausmachen, und Sie, Sie Forschernatur, Sie werden die Prozentsätze der Geheilten und Ungeheilten nicht ändern. Dieses Fieber, das ist das Ende.

Gygax Die Fingernägel sind blau, die Milz ist riesengross.

Wüthrich Das wissen wir längst. Hier machen wir nichts mehr.

(Schwester Elisabeth streicht Verordnungen)

Der Junge Ist das alles, Herr Professor?

WÜTHRICH (Beugt sich zu der Bewusstlosen.) Mein Ohrensausen. (Schreit dem Mädchen ins Ohr) Hier machen wir nichts mehr! (Zur Schwester) Sie wissen Bescheid.

Der Junge Am Badezimmer führt kein Weg vorbei.

WÜTHRICH Ich weiss, auch beim nächsten Mädchen werden Sie wieder alles versuchen, aber den Sterbenden sind wir Endgültigkeit schuldig. (Pflegeteam und Patientin ab) Mein Ohrensausen. Mein Ohrensausen, es kommt, es geht. Mein Ohrensuasen!

Der Junge Mozart. Mozart, Herr Professor. Diminuendo. Auf Wiedersehen. Vergessen Sie das Kreuz für das Mädchen nicht.

WÜTHRICH (Sich an den Kopf greifend) Ich sterbe nicht.

Chor Noch nicht, Herr Professor. Noch sterben Sie nicht.

WÜTHRICH Nicht ich, nein, nie, niemals.

Chor Nein, noch nicht, Herr Professor.

Wüthrich Weshalb wird Gygax auf die Station gerufen? Warum nicht ich? Ich werde Euch alle überleben. Alle.

Chor Vielleicht, Herr Professor.

WÜTHRICH Längst weiss ich, dass ich als Professor unsterblich bin.

Chor Nicht ganz, Herr Professor. Nicht ganz.

Wüthrich Meine Frau Sophie hat heute Geburtstag. Ich habe die Lilien dabei.

Chor So leicht kommen Sie nicht davon, Herr Professor.

WÜTHRICH Meine Frau wartet.

Chor Frau Schüpbach wartet auch. Und Herr Beck und Herr Hüssy und Herr Pfister und Herr Ramseyer mit y warten auch.

(Auftritt Beck mit Pflegeteam)

Schwester Anna Es geht Herrn Beck nicht gut.

WÜTHRICH Das wussten wir längst.

Schwester Anna Es geht ihm heute aber besonders schlecht.

WÜTHRICH Stirbt er?

Huttenlocher Die Angehörigen sind benachrichtigt.

(Becks Atem rasselt. Man misst Blutdruck, Gygax zieht Spritze auf.)

WÜTHRICH Er sieht aus wie der Präsident von Guatemala.

GYGAX Herr Beck ist aus Guatemala. Er war in Europa auf Urlaub. Er hätte die Schweiz nicht besuchen sollen. (Hält Wüthrich die leere Ampulle vor die Augen.)

WÜTHRICH Ich bin nicht kurzsichtig, Herr Oberarzt.

GYGAX Sollen wir?

WÜTHRICH Wir müssen sogar. Es ist unsere ärztliche Pflicht, alles zu versuchen. (Gygax sticht ein, spritzt) Insbesonders auch, weil ich für unseren Herr Beck noch verschiedene Fragen habe. Sie spritzen viel zu rasch, Herr Dr. Gygax. Viel zu rasch. (Ohne Antwort abzuwarten) Herr Beck, was ich Sie noch fragen wollte: Wie alt sind Sie? Und wenn wir schon dabei sind, Herr Beck, können Sir mir sagen, welchen Tag wir heute haben? Herr Beck, ich bitte um Aufmerksamkeit: Wo sind wir? Gut, sehr gut. Und noch etwas: Wer waren Sie, Herr Beck? (Hinter Wüthrichs Rücken hat sich Beck im Bett aufgebäumt, die Augen aufgerissen. Danach breitet die Schwester ein weisses Laken über ihn aus und er wird hinausgeschoben.) Jawohl, Herr Dr. Gygax, eine saubere kleine Ermordung, unmittelbar vor dem natürlichen Abgang. Sie brauchen mich gar nicht so belämmert anzusehen, Dr. Gygax! So ist das Leben, gratuliere. Wenn Beck wirklich Präsident von Guatemala gewesen wäre! Gygax, was für Scherereien! Nicht auszudenken!

(Ende erster Akt)

Zweiter Akt

Gygax (Liest Krankengeschichte). Es begann mit Schmerzen und Erbrechen. Bis zur Alkalose. Der Hausarzt nahm Gallensteine an.

Wüthrich Und Sie werden uns alles, was Sie je über Bäuche gehört und gelesen haben unter die Nase reiben! Ich kenne Sie! Sagen Sie, Gygax, wann haben Sie Geburtstag?

Gygax Das Beschwerdebild von Frau Schüpbach – lismet numä ruhig wyter, Frou Schüpbach – stricken Sie ruhig weiter Frau S. – verweist auf Schmerzen im Oberbauch.

Wüthrich Ich kenne keine Frau Schüpbach. Aber ich habe Sie nach ihrem Geburtstag gefragt.

Gygax Am zwanzigsten März.

Wüthrich Am zwanzigsten März. Dann wurden Sie also am dreizehnten Juni gezeugt.

Gygax Am siebenundzwanzigsten, Herr Professor, ich habe es nachgerechnet. Frau Schüpbach, würden Sie bitte ihren Bauch frei machen.

Wüthrich Richtig. Ich konnte mir nie merken, ob man die sieben Tage zu den drei Monaten hinzu- oder wegzählen muss.

Gygax Schwester Elisabeth, die Laborbefunde, bitte. Frau Schüpbach erinnert an den erfolgreichen Eingriff an einer 73 -jährigen Patientin vor zwei Wochen.

Wüthrich (unterbrechend) Ich bin kein Fall. Und ich kenne Frau Schüpbach nicht. Ich habe sie nie gesehen. Stricken Sie ruhig weiter, schauen Sie mich nicht so an. Rapportieren Sie, Gygax!

Gygax Die Röntgenbilder. (Wüthrich nimmt ein Röntgenbild verkehrt in die Hand) Die roten und die weissen Blutkörperchen, der Zucker, die Gallenfarbstoffe. Wir haben alles untersucht. Die Röntgenbilder allein sprechen eine klare Sprache. (Nimmt Wüthrich das Bild aus der Hand und dreht es um)

Huttenlocher Schwester Elisabeth kontrollierte den Urin. Sie bestätigt, dass nie ein Stein abging. Nicht wahr, Schwester?

Gygax (Betastet Frau Schüpbach) Die Oberbauchbeschwerden. Hier, immer an der gleichen Stelle. Auch den Stuhl haben wir kontrolliert. Keine Spur von Wurmeiern. Dank den neusten Erkenntnissen in der Erforschung der Gallenfarbstoffe. Bekanntlich kristallisiert das Bilirubin in fuchsroten monoklinen Prismen. Das Biliverdin dagegen…

Wüthrich Sind wir wieder bei den Gallenfarbstoffen angelangt? Stricken Sie ruhig weiter, Frau Schüpbach. Gallenfarbstoffe! Gygax! Kein Zweifel, zusammen mit ihren urinkontrollierenden Stationsschwestern werden Sie Ihren Weg machen. Sie arbeiten gewissenhaft, allumfassend, Sie wohnen im richtigen Viertel. Die richtigen Leute richtig behandeln, wer sollte Ihnen Ihren Aufstieg vereiteln. Keinen allzu lange am Sterben hindern, das schadet auf die Dauer dem Ruf. Ich war ein schlechter Arzt, ich schreckte vor Menschenopfern zurück, aber mein Verantwortungsbewusstsein beschränkt sich nicht auf schmerzhafte Punkte in einem entblössten Frauenoberbauch. Alles haben Sie untersucht, nach allem haben Sie gefragt: Ausser nach dem Wesentlichen! Frau Schüpbach, ein schöner Pullover, den Sie da stricken. Sagen Sie, Frau Schüpbach, wieviele Hühner haben Sie?

Frau Schüpbach Hühner? Drühundertzwänzg heimer./ Hühner? Dreihundertzwanzig .

Wüthrich Sehen Sie, Gygax? Dreihundertzwanzig Hühner und Sie haben nach keinem einzigen gefragt. Und der Pullover, Frau Schüpbach, für wen stricken Sie ihn?

Frau Schüpbach Mi het ja niä so viu Zyt zum lisme wiä im Spitau. Dä isch für mys Grossching. / Man hat ja nie so viel Zeit zum Stricken wie im Krankenhaus. Der Pullover ist für mein Enkelkind.

Wüthrich Ja, ja, nicht wahr, der Sämeli.

Frau Schüpbach Eh Herr Profässer, da Bueb heisst gwüss grad so. I sägän öich, isch das ä liäbä Bueb. Auso isch das ä liäbä Buäb. / Also Herr Professor, genau so heisst er! Genau so! Und ich sage Ihnen, ein besonders lieber Bub.

Wüthrich Er wird sich über den schönen Pullover freuen , der Sämeli. (Tastet sich an Frau Schüpbachs Bauch heran) Tut das weh? Meine Hände! Schwester, den Spiegel! Mein Gesicht! Was gibt es hier zu grinsen? Meine Hände gehorchen nicht. Das Kleinhirn ist alt geworden. Vertrocknet, verfilzt, verkalkt. Tut das weh?

Frau Schüpbach Scho chly. / Ein wenig.

Wüthrich Jetzt habe ich die richtige Stelle. (Frau Schüpbach stöhnt auf) Was würden Sie zu einem Professor sagen, der die Röntgenbilder verkehrt vor das Licht hält? (Drückt stärker, Frau Schüpbach schreit)

Gygax Herr Professor, der Magen.

Wüthrich Ich will Frau Schüpbach heilen.

Schwester Elisabeth Es isch scho verby. Wettet Dr äs Schlückli ds Trinkä? / Schon vorbei. Möchten Sie etwas trinken?

Gygax Frau Schüpbach litt auch schwerstens an Stirnhöhlenkatarrh. In den reifen Jahren. Die Frage stellt sich nun, ob wir nicht operieren sollen?

Frau Schüpbach Auso Schtirnhöhlä, auso gäng ganz unerchannt. Nid zum uushaute, da Schtirnhöhlä. / Stirnhöhle hatte ich ganz oft, ganz verteufelt.

Wüthrich Und was passiert mit dem Pullover für den kleinen Sämeli?

Frau Schüpbach Ds einzigä wo no ghufä het, isch das gsy. (Sie zieht ein Tuch hervor, die Schwester nimmt es ihr gleich wieder weg) Es Schtirnband. Gweiht und gsägnet ds Solothurn. / Das einzige, was dagegen half, war dies. Ein Stirnband. Geweiht und gesegnet in Solothurn.

Gygax Aber Frou Schüpbach! Settige Hokuspokus. / So ein Unsinn.

Frau Schüpbach Me cha niä wüssa. / Man kann nie wissen.

Wüthrich Man kann nie wissen, ob Gott katholisch ist.

Frau Schüpbach So hani das um ä Chopf agleit. / So habe ich mir das um den Kopf gelegt. (Macht es ohne Tuch vor)

Wüthrich Frau Schüpbach, Sie haben 320 Hühner. 320 Hühner. Das muss man sich doch vorzustellen versuchen. Aber was ich Sie fragen wollte: Wie heisst ihr Mann mit Vornamen?

Frau Schüpbach My Ma? Ernst. / Mein Mann? Ernst.

Wüthrich Und was tut Ihr Mann, wenn Sie so lange von zu Hause fortbleiben?

Frau Schüpbach Dr Ernst? Jöh, dä hocket oppä i dr Stubä wiä gäng./ Der Ernst? Der wird in der Stube sitzen, wie immer.

Wüthrich (Greift erst an seinen eigenen Bauch, dann an den Puls von Frau Schüpbach, schliesslich an ihren Bauch) Und zwischendurch mit dem kleinen Sämeli an der Hand ein kleiner Spaziergang bis zum kleinen Bach hinunter, dazu ein Blick über die Felder, ein Blick in den Stall, treu folgt der Hund, auf der Laube sitzt die schwarze Katze, dann ein Besuch bei den Hühnern. 320 Hühner, Herr Oberarzt. Überall Hühner, die flattern, gackern., dünnschalige Eier legen, und dazu dieser schmerzhafte Punkt im Oberbauch.

Gygax Frau Schüpbachs weisse Blutkörperchen sind ganz bedenklich vermehrt, die Frage ist und bleibt, ob wir operieren sollen?

Wüthrich Man muss den ganzen Patienten in seinen Zusammenhängen erfassen. Ganz. Man muss die Hühner sehen. Die Hühner hören, die Hühner riechen. Weisse, schneeweisse Hühner. Alles Albinos. Die ihre Kleider nicht besudelt haben; die werden mit mir eingehen in weissen Kleidern, denn sie sind’s wert. Wussten Sie, Gygax, dass bei uns der Jüngste den Hof erbt? Halte, was Du hast, dass niemand Deine Krone nehme, denn es ist gekommen der grosse Tag. (Greift sich wieder an den eigenen Bauch). Der Darm zeigt an, wenn an den Gedankengängen etwas nicht stimmen kann.

Gygax Auch der Chirurg empfiehlt, einen Eingriff nicht zu verzögern.

Wüthrich Bauern vererben Höfe, Medizinalprofessoren gelegentlich ihre Kliniken. Verbleibt uns die Notwendigkeit, auf die unterschiedlichen Erbgesetze hinzuweisen. Eine Klinik ist bei allem Gegacker schliesslich kein Hühnerhof, nicht wahr, Frau Schüpbach?

Gygax Auch Dr. Huttenlochers eingehende Untersuchung der Katecholaminkataboliten lässt einen baldmöglichsten chirurgischen Eingriff als sehr wünschenswert erscheinen.

Huttenlocher Bei allem Respekt, Herr Professor, als sehr wünschenswert. Zeigen doch die Katecholaminkataboliten bei engmaschiger ÜberwachunGygax.

Wüthrich Frau Schüpbach hat Schmerzen im Oberbauch. Frau Schüpbach hat aber auch 320 Hühner. Diese Zusammenhänge gilt es sich zu vergegenwärtigen. 320 Hühner! In Einerkolonne ziehen sie an mir vorbei. Ein Huhn schön hinter dem andern. Ein endloser Leichenzug ohne Wagen. Die Hühnerschwänze zucken im Takt, Huhn 320 geht lahm, das Gefieder schmutzig, aber (schreit) die Hackordnung wird aufs Peinlichste genau eingehalten! Nein, Huhn 320 wird nicht alt!

Gygax Frau Schüpbach hat einer Operation zugestimmt.

Huttenlocher So schnell wie möglich.

Gygax Sie möchte es hinter sich bringen.

Huttenlocher Wenn es denn sein muss, Herr Professor.

Wüthrich Und Sämelis Pullover?

Gygax Ich habe mit dem Chirurgen das Notwendige vereinbart.

Wüthrich Frau Schüpbach ist erledigt.

Gygax Schon morgen kommt sie auf den Tisch.