Grand Prix BernZuerst hatte Vater einen Austin. Einen typischen Engländer. Einen rechts gesteuerten flaschengrünen Kastenwagen mit ausbaubarer Hinterbank. Weitere fünf Autos folgten. Zuerst ein hellgrauer Peugeot 204 mit weissen Ringen an den Reifen und einem dunkelgrauen Dach, dann ein Chevrolet Malibu und schliesslich der Reihe nach ein Renault 19, ein Renault 26 und ein Renault 21.

Alle rot oder bordeauxrot und links gesteuert, versteht sich. Aber noch im Renault 26 sagte Vater, wenn er die Stadt westwärts durch den Bremgartenwand Richtung Murten oder Neuenburg verlassen wollte, er fahre über die Rennstrecke. „I ga de über d Rennstrecki“, sagte er, obschon dort der letzte Grosse Preis der Schweiz noch zur Zeit des flaschengrünen Austins ausgetragen worden war.
Vater hatte uns mitgenommen.
Schon bei der Tramendstation liefen aus allen Richtungen Schwärme von Menschen zusammen. So viele Männer in grauen Anzügen und grauen Mänteln, mit grauen Hüten auf dem Kopf, hatte ich noch nie auf einmal gesehen. Mein Bruder an der einen, ich an Vaters anderen Hand, gelangten wir hinter dem Güterbahnhof der Stadt über eine Brücke in noch dichteres Gedränge. Alle hatten es eilig, reckten schon die Hälse, alle waren erpicht, endlich zu sehen, was man schon lange hörte: Vorbeirasende Motorräder schrien spitz und schrill aus Bremgartenwald. So schnell wie sich der Lärm verlor, war er wieder da. Es roch nach verbranntem Sprit. Ein Geruch wie beim Fondueessen.
Und dann sahen wir sie, diese tollkünen Motorradrennfahrer!
Zwischen grauen Hosenstössen hindurch, nur ausschnittweise, dafür in den unglaublichsten Schieflagen über ihre Maschinen gebückt und geduckt, nie aufrecht, und immer in Schwarz ohne Gesicht und von diesem Motorenlärm verfolgt, der grausam in den Kinderohren schmerzte.
Später bekamen wir bei den Boxen auch die Rennautos zu sehen, wir staunten, sie schienen nur aus Rädern zu bestehen und waren nicht halb so gross, wie ich sie mir vorgestellt hatte.
Noch bevor sie zu einem Trainingslauf starteten, musste unser Vater zurück in seinen Laden.
Ich kann mich auch erinnern, dass Vater wiederholt vom ersten grossen Preis der Schweiz erzählte. Er war Zeuge gewesen, als es zu einem Unfall kam, wie wir Kinder mit unseren Spielzeugautos auf dem Wohnzimmerteppich keinen schlimmeren hätten inszenieren können.
Einer der Rennfahrer sei von der Rennstrecke abgekommen. Nicht nur in den Wald hinein, auch noch auf einen Baum hinauf sei er gerast. Und zwar so schnell, dass ihm ein unglücklich herausragender Ast den Hals durchschnitten und den Kopf mitsamt dem Helm vom Leib getrennt habe.
Den Rennfahrer Hamilton sollten wir nie mehr vergessen. Er fuhr mit Kopf in einen Baum hinauf und kam ohne Kopf wieder herunter.
Gewonnen hatte den letzten Grossen Preis der Schweiz J. M. Fangio mit einem Mercedes. Ein Jahr später gab es bei einem andern Rennen im französischen Le Mans eine Kollision, die unter den Zuschauern 84 Todesopfer forderte, worauf die Behörden den Rundstreckenrennsport aus der Schweiz verbannten.
Ähnlich konsequent handelten die Behörden nie wieder. Schon zur Zeit von Vaters Chevrolet, begann man im Bremgartenwald mit dem Bau der Autobahn. Zur Zeit von Vaters Renault 19 wurde sie fertiggestellt, und noch während der Renault 26 seine von einem Autoleben erwarteten Kilometer leistete, hatte das Volksrundstreckenrennen auf Europas Autobahnen Tausende von Menschenleben gefordert.