Genua, das wäre in Venedig nie passiert
Foto: Antonio Calanni/AP

Es sei vorausgeschickt: Ich besitze auch ein Auto. Dennoch ist der Anblick schmerzhaft. Ja, es tut weh. Es ist Winter. Es ist Büroschluss. Die Prachtstrasse ist verstopft. Zwei, drei, vierspurig stehen die Prachtswagen mit dampfenden Auspüffen aufgestaut, bewegunslos. An der Thunstrasse tun sie es heute, sie tun es morgen Abend wieder. Der Fussgänger schlendert an ihnen vorbei, sieht sie vereinzelt in ihren teuren Interieurs sitzen. Er überholt sie alle. Es sind prächtige Karossen darunter, sündhaft teure Renommierstücke. Kraftvolle Motoren aus edelsten Werkstätten langweilen sich im Leerlauf. Auch auf Hochglanz polierte eigentliche Kriegsfahrzeuge stehen da und protzen mit ihrer überflüssigen Kraft. Soviel Stahl für so wenig Mensch.

Würden die Fahrer und Fahrerinnen alle kurz mal aussteigen, es wäre ein mittleres Grüppchen, keine halbe Strassenbahn voll. In ihren Karossen aber belegen sie die ganze Allee, eine gewaltige Fläche, zwei, drei Tramstationen weit bis hinunter zum Helvetiaplatz. Die Lichter nichts als blinde Augen in der Nacht. Es gibt kein Grund anzunehmen, die Lächerlichkeit des ganzen sei jemandem bewusst.
Was die Autoindustrie an technischer Entwicklung und und marktstrategischem Geschick in den letzten 50 Jahren an den Tag gelegt hat ist ja eigentlich unglaublich und wäre ans sich bewundernswürdig. Aber beim Abschreiten eines solchen Staus gibt es doch nur Unbehagen über unseren lächerlich peinlichen Umgang damit. Wir werden einfach nicht fertig damit. Gegenwärtig findet vielleicht da und dort wieder eine leichte Sensiblisierung statt, obschon man sich auch da nicht allzu grosse Illusionen machen sollte.
Es ist aber nur ein Frage der Zeit, dass wir kollektiv aus einem Alptraum aufwachen und uns über den durch unsere Mobiliät eingeleiteten Grad der Zersiedlung und die allgemeine Verwüstung unseres beschränkten Lebensraum schamvoll entsetzen werden.
Es wird höchstens noch ein paar Generationen dauern und man wird über Menschen, die sich so verhalten wie wir heute nur noch den Kopf schütteln.
Auch dass diese Leute hier in diesem Stau, grössteneteils darauf warten, hinaus ins sogenannte Grüne fahren zu können, in die die Ruhe auf dem Land flüchten, weil sie selbst die Stadt durch die Verkehrsbelastung teilweise ungemütlich bis unbewohnbar machen und dass das sich das dann steuerrtechnisch auch noch rechnet, wird eines Tages als derart absurd und lächerlich erkannt werden, dass man ruhig schon heute mit Lachen und hämischerweise auch ein bisschen mit Auslachen beginnen darf.

Erschienen 2007 in «Die Wochenzeitung» Zürich