Eine Fischereireportage von Beat Sterchi.

Lluch ArnauIIDer Himmel ist bewölkt, der Seegang für meine Begriffe unverändert bewegt.
Von der Küste ist inzwischen nichts mehr zu sehen. Die andern Schiffe sind verschwunden. Dafür haben sich die Delphine herbeigelassen. Pedro zeigt sie mir mit ausgestrecktem Arm. Dort! Und dort! Vielleicht 2oo Meter entfernt umschwirren sie
Netz und Beute. Ein Dutzend Rückenflossen schneiden scharf und dunkel die Wellen, ein paar Mal springt einer der Delphine, scheinbar langsam, wie in Zeitlupe sich abdrehend über die Wasseroberfläche.

An den Tischen sitzen schweigende Männer. Sechs Uhr ist früh in Spanien, sehr früh. Noch ist es dunkel. Die Männer sitzen in einer Fischerkneipe direkt am Hafen. Es ist das einzige Lokal der Stadt Benicarlo, das um diese Uhrzeit schon geöffnet ist.
Die Männer rauchen, trinken Kaffee, heisse Milch, auch ein paar Schnapsgläser stehen herum. Hier pflegt man zum Frühstück klebrig-süssen Anis unverdünnt zu trinken. Ich bestelle mir einen Milchkaffee. Die Männer, die das Lokal betreten und verlassen sind alles Seeleute. Man erkennt sie an den blauen Plastikeimern, die sie dabei haben. Aus einigen Eimern ragt ein langes dünnes Brot. Mein Brot ragt aus meinem Rucksack, den ich auf einen Stuhl stelle. Ein Brot solle ich mitbringen, sonst nichts, hat man mir gesagt. Eine Flasche spanischen Brandy und zwei Flaschen Rotwein habe ich als Geschenk für die Mannschaft dabei.
Natürlich trinke man Wein auf See, habe ich mir sagen lassen. Sei einmal kein Wein an Bord, herrsche schlechte Laune und wie Kapitän Haddock müsse der Steuermann womöglich nur deshalb Kurs auf den nächsten Hafen nehmen.

Barco ArrastreWährend ich meinen Milchkaffee trinke, gehen auf den Schiffen die Decklampen an. Der Hafen regt sich. Bon diá! Buenos dias! Guten Morgen! Jeder weiss, was er zu tun hat. Mit Eis gefüllte Kisten werden geladen. Maschinen werden angeworfen und aufgewärmt. Auf Deck werden Leinen geprüft, Netze ausgelegt, über Nacht vollbrachte Reparaturen werden kontrolliert.
Man kennt diese Netze, sieht sie aufgehäuft oder ausgebreitet, flaschengrün oder korkbraun, eng- und weitmaschig in allen Häfen der Welt. Man kennt sie von Bildern mit Fischern und Fischerfrauen, knüpfend, flickend, säubernd. Man kennt die Netze als Symbol, als Bild in Literatur und Religion, man sieht sie dekorativ in Restaurants, man sieht sie überall und doch weiss man kaum, wie sie geworfen, gesetzt und wieder gehievt werden. Ich jedenfalls nicht.
Deshalb bin ich hier.

Die Lluch-Arnau II ist ein Schiff, das für die Schleppnetzfischerei gebaut wurde. Ihr Besitzer ist ihr Kapitän. Sein Name ist Paco. Sein Nachname ist auch der Name des Schiffes. Paco trägt Jeans, eine blaue Windjacke und Turnschuhe. Erst später erkenne ich an seinem Gang den Seemann und an der gegerbten Haut und an den Augen, die keine Sonnenbrille brauchen, den Fischer.
Paco zeigt mir, wo ich im Vorschiff meinen Rucksack verstauen kann. Die mitgebrachten Flaschen stecken wir im Essraum in dafür vorgesehene Löcher in einem Regal. Neben meinem Rucksack stehen fünf blaue Eimer.
Von hier führt eine Leiter in den hell erleuchteten Maschinenraum. Dort dröhnt ein 13ooPS starker Dieselmotor. Eine andere Leiter führt zu einem geräumigen Schlafraum im Bug mit zwei Kojen und acht Kajütenbetten hinunter. Eine dritte, treppenähnliche Leiter führt hinauf zur Brücke.
Auf der Brücke überprüft Paco verschiedene Armaturen, dreht am Kurzwellenradio. In fünf Minuten, sagt er und erkundigt sich dann nach meinen bescheidenen einschlägigen Erfahrungen mit Schiffen, Fischern und dem Meer.
Ein paar Tage vorher hatte er mir abgeraten mitzufahren. An jenem Tag war Sturm angesagt gewesen, was ihn und seine Mannschaft nicht daran gehindert hatte, auszulaufen. Mir war aber prophezeit worden, ich würde noch jene Haferbreilein auskotzen, die ich schon vor meiner Taufe gegessen hätte. Heute sieht es besser aus, denn gestern war ruhiges, schönes Wetter gewesen und davon bleibt auf dem Meer immer etwas übrig für den nächsten Tag. Ist aber umgekehrt heute Sturm und morgen herrlicher Sonnenschein, sind die Wogen noch längst nicht geglättet. Trotzdem habe ich mit meinem Kaffee schon die zweite rote Pille verschluckt. Biodramina C. Gegen Reisekrankheit zur See, zu Land und in der Luft.

Um halb Sieben laufen wir aus. Die Maschine dröhnt etwas lauter, das Kielwasser rauscht. Himmel und Meer sind schwarz. Zu sehen sind nur die Lichter des Hafens und dahinter die Lichter der Stadt Benicarlo, in der ein paar hundert Familien von diesen dreissig oder vierzig Schiffen leben, die jeden Morgen, bei jedem Wetter zur Hafeneinfahrt und in einer langen Reihe, schaukelnd und mit ihrer feierlich wirkenden Beleuchtung wie eine schwimmende Prozession ins Meer hinaus streben.

Benicarlo liegt an der valencianischen Levanteküste. Es ist eine jener chaotisch verbauten Kleinstädte, die eigentlich keine Städte sind, aber auch keine Dörfer, die es genau genommen eigentlich gar nicht geben dürfte mit ihren himmelschreienden Verstössen gegen alle Regeln der Architektur und der Städteplanung, die aber tagsüber im Licht der Mittelmeersonne mit ihren bunt behängten Wäscheleinen auf den verschachtelten Dächern, mit ihren üppigen Märkten und ihren lachenden Bewohnern doch strotzen vor Charme und Poesie.

Auf dem Mittelmeer darf in Spanien mit dem Schleppnetz nur 10 Stunden pro Tag gefischt werden. Von wann bis wann, legen die Fischer unter einander selbst fest. Damit es bei den Hafeneinfahrten kein Gedränge gibt, laufen sie gemeinsam mit gedrosselten Maschinen aus, bis einer von ihnen über Radio mit einem Morgengruss offiziell das Signal für den Arbeitsbeginn durchgibt. Bon dia a tots en la mar! Allen einen guten Tag auf dem Meer! klingt es heute um sieben auf Valenzianisch aus dem Lautsprecher, worauf Paco sanft an einem Hebel zieht und Fahrt zulegt. Volldampf gibt er nie, aber auch so sind abends 15ooo Liter Dieselöl weniger im Tank. Dann macht er es sich auf dem Sitz vor dem Ruder gemütlich, hebt die Beine hoch und stellt das Radio leiser. Der automatische Pilot nimmt Kurs auf die 33 Seemeilen entfernten Islas Columbretes. Erst dort kommt das Netz ins Wasser. In der Zwischenzeit steigt die Mannschaft in die Bugkojen hinunter, um für eine Stunde zu schlafen. Weil es unten nach Öl und Abgasen riecht, rät mir Manolo, der Maschinist, auf der Brücke zu bleiben.

Klar, hier hast du frische Luft, sagt Paco, dem nicht entgangen ist, dass mir das Rollen des Schiffes jetzt schon zu schaffen macht. Aber soeben war doch das weisse, auf dem Vorschiff zu einer Spitze zusammenlaufende Geländer noch so weit oben, dass ich zu ihm aufschauen musste und jetzt ist es wieder in der schwarzen Tiefe vor dem Bug verschwunden und jetzt kommt es wieder hoch…Hombre! sagt Paco, eso es pequeño!. Ich bedenke kurz, ob ich schon eine dritte rote Pille schlucken soll, versuche mich auf die andern Schiffe zu konzentrieren. Es tagt. Für meine Begriffe ist das Meer bewegt und schieferschwarz. Die Kuppel des Himmels darüber ist fleckig, dunkel, grau. Aus der Prozession der Schiffe ist mittlerweile ein Wettrennen geworden. Aufgefächert geben alle Dampf, als eilten sie von Woge zu Woge alle zum selben Ziel.

Spanien besitzt die grösste Fischereiflotte Europas. Jährlich fangen 17 000 spanische Schiffe mehr als eine Million Tonnen Fisch. In keinem Land Europas kommt mehr Fisch auf den Tisch als in Spanien. Einer der Gründe für den hohen Verbrauch sieht man in der Nachwirkung der angeblich lange eingehaltenen Fleischabstinenz an Freitagen und während der Fastenzeit.

Um 8 Uhr 30 stellt sich Manolo hinter eine der mannshohen Drahtseilwinden auf Deck an die Schalthebel. Batiste stellt sich hinter die andere. Juan-Angel, Ignazio und Pedro zerren das Netz von der Rolle und heben es Stück für Stück mit grosser Anstrengung über Bord. Sobald das Kielwasser das geschlossene Endstück erfasst, dreht sich die Rolle schneller und der 12o Meter lange Maschensack gleitet von selbst ins Meer.
Damit sich der Mund des Netzes auch öffnet und geöffnet bleibt, müssen an den oberen Teil, an das sogenannte Kopftau, zwei Dutzend gelbe Kugelboyen geschnürt, und der untere Teil, das sogenannte Grundtau, mit Bleigewichten versetzt werden. Um die Öffnung auch seitlich zu fixieren, kettet die Mannschaft jetzt Metallgleiter vor das Netz. Es ind Schlitten aus Alluminium, die einem grossen Surfbrett ähnlich sehen. Scherrbretter ist der Name, den der Bilderduden dafür bereit hält. Bei der Arbeit verständigt sich die Mannschaft mit Handzeichen. Mit einem erhobenen Arm links oder rechts dirigiert Pedro die Seilmanöver, denn zum Dröhnen der Maschine kommt jetzt das Sirren und Surren der Stahlseilwinden hinzu. An diesen Stahlseilen werden die Scherrbretter und das daran befestigte Netz je nach Tiefe 100 bis 2oo Meter hinter dem Schifff über den Meeresboden geschleift. Natürlich redet niemand von Metern. Auf See wird in brazas, in Fäden gemessen.
Daran, ob ein Schleppnetz den Meeresgrund gewinnbringend pflügt und die Reproduktion von Flora und Faune fördert oder ob es nur Zerstörung anrichtet, daran scheiden sich die Geister und darüber streiten sich die Experten.

Kaum ist das Netz zum ersten Mal gesetzt, kotze ich zwar nicht die Breilein, die ich schon vor meiner Taufe gegessen hatte, jedoch sonst so ziemlich alles über Bord. Wie eine Fontäne spritzt es aus mir heraus über die Reling, vorneweg vermutlich die kleinen roten Pillen.
Es gibt mitleidige, auch verständige Blicke. Manolo sagt, er habe Calamares zubereitet, ich solle doch mitessen, das sei besser für den Magen, auch wenn es nachher wieder hochkomme. Calamares en su tinta. In der eigenen Tinte mit einer Zwiebel und etwas Salz gekocht. Batista lacht mir ins Gesicht und meint: Sehr bleich siehst du gar nicht aus. Iss! Aber pass auf! Manolo ist ein schlechter Koch.
Es ist ja auch nur der Magen, behaupte ich, als hätte ich nichts zu tun mit diesem und lege einen kleinen Tintenfisch auf ein Stück Brot, beisse hinein. Kauend lasse ich die dargebotene Rotweinflasche an mir vorübergehn. Die andern sitzen rund um den Tisch, lachen mir aufmunternd zu und trinken auch auf dem rollenden, schwankenden Schiff auf spanische Art, direkt aus der Flasche, jedoch ohne sie mit den Lippen zu berühren. Nur Ignazio, der jüngste an Bord, verzichtet auf das Frühstück.
Ignazio ist der 16 jährige Sohn von Paco. Auch er wird gelegentlich noch seekrank. Dennoch geht er in einem Monat nach Alicante, um sich dort an der Akadmie zum professionellen Fischer ausbilden zu lassen.

Der Himmel ist bewölkt, der Seegang für meine Begriffe unverändert bewegt.
Von der Küste ist inzwischen nichts mehr zu sehen. Die andern Schiffe sind verschwunden. Dafür haben sich die Delphine herbeigelassen. Pedro zeigt sie mir mit ausgestrecktem Arm. Dort! Und dort! Vielleicht 2oo Meter entfernt umschwirren sie
Netz und Beute. Ein Dutzend Rückenflossen schneiden scharf und dunkel die Wellen, ein paar Mal springt einer der Delphine, scheinbar langsam, wie in Zeitlupe sich abdrehend über die Wasseroberfläche.

Manolo fragt, ob ich Kaffee mittrinke. Den Kaffee kenne ich. Zur Hälfte Brandy. Ich bleibe lieber auf Deck, versuche das Meer zu riechen, versuche möglichst kühlen Kopf und den Tintenfisch möglichst lange im Magen zu bewahren. Man müsste es doch geniessen können, hier draussen sein zu dürfen auf diesem perfekt modelierten Meer unter diesem Dach von einem Himmel, an welchem jetzt ein paar hervorbrechende Sonnenstrahlen alle Wassertöne plötzlich bunter, alle Kontraste schärfer werden lässt.

Jeder steht auf seinem Posten. Die Maschine ist gedrosselt. Das Netz wird hereingeholt. Die Scherrbretter müssen ausgeklinkt und am Heck vertäut werden, damit das Netz mitsamt den verschiedenen Leinen und Kabel unbehindert aufgerollt werden kann. Die Boyen und die Bleigewichte müssen vorher alle wieder weg.
Die Delphine sind jetzt ganz nah, kommen näher, ihre Rückenflossen sind aufragende Messer, die das Meer zerschneiden.

Ist das Netz aufgerollt, drosselt Manolo die Winden. Der Steert, der Sack am Netzende mit dem Fang, rutscht auf Deck. Ganz langsam zieht ihn die Winde über die Rolle am Heck und gleich schlingt Batista einen Strick darum, verknotet ihn, um ihn mit dem Kran aufzuziehen.
Dann liegen sie plötzlich da, ein nasser Haufen, zappelnd, schmachtend, glänzend, schillernd, sterbend. Sardinen, Sardellen, Makrelen, Barsche, Barben, ein paar grosse und massenhaft kleine Tintenfische, auch etwas Seetang, kleine Seesterne, dann Plastikfetzen, Bierdosen, Steine. Ein Tintenfisch bewegt sich mit dem aufgeblasenen Wasserkopf gespenstisch über die Planken, seine saugnapfbesetzten Arme greifen aus.

Ein guter Fang? Die Gesichter der Fischer geben keinen Aufschluss. Normal, regular, sagt Paco. ungewöhnlich ist nur der Riss im Netz. Die Fischer haben alle ihr Nähzeug geholt. Dann steigt Paco zurück auf die Brücke, wo er mehr Fahrt gibt, denn gleich geht das Netz wieder über Bord.
Ist das Netz gesetzt, sortiert die Mannschaft kniend oder mit gespreitzen Beinen sitzend, die Beute in die weissen Plastikkisten. Damit ich mithelfen kann, ohne mich dabei zu durchnässen gibt man mir Ölzeug zum Anziehen.
Viele der Fische sehen sich sehr ähnlich und sind es doch nicht. Die brecas, die Weissfische, haben eine rötliche Schwanzflosse, sagt Manolo. Diese hier dagegen sind voller Geräte. Über Bord damit!. In hohem Bogen zurück ins Meer fliegt auch alles, was im Netz Schaden genommen hat. Darunter zerrissene, halbierte Sardinen. Die aus dem Nichts aufgetauchten Möven bedanken sich krähend. Auch bei den Tintenfischen, bei den calamares gibt es Unterschiede. Was nicht den gleichen Markwert teilt, wird getrennt. Wild und gefährlich sieht der Seeteufel aus. Sein breiter Froschmund ist mit spitzen Zähnen bestückt. Eine Fischsorte mit giftigen Stacheln an den Flossen ist dabei. Die gestochene Hand könne anschwellen wie bei einem Salamanderstich.
Lange bevor der Haufen abgetragen ist und die Fische abgespühlt und mit Eis bedeckt in 14 Plastikkisten liegen, fliegt auch der Tintenfisch in meinem Magen in hohem Bogen über Bord zurück ins Meer. Batiste lacht und sagt: Ich habe Dir ja gesagt, Manolo sei ein schlechter Koch.

Batiste, der älteste der Crew, hat kurze graue Haare, ist mittelgross, immer bereit zu lachen und sieht überhaupt aus wie jener letzte glückliche Gastarbeiter, der auch nach 30 Jahren in der Schweiz nichts von seinem Humor verloren hat. Juan-Angel dagegen ist gross, ernst und hager. Seine Augen sind leicht zugekniffen, aus Vorsicht oder zum Schutz gegen Wind und starkes Licht. Er sieht dem Soldaten ähnlich, den Robert Capa auf seinem berühmtesten Foto aus dem spanischen Bürgerkrieg verewigt hat. Pedro hat einen Schnurrbart und einen wilden Haarwuchs, sieht wie ein Künstler aus, ist aber wortkarg, flink und äusserst fit und kräftig. Gebaut wie eine Eiche, sagt man auf Spanisch. Manolo schliesslich, der Maschinist ist ausser Seemann ausgebildeter Mechaniker. Vom Aussehen her könnte er auch Lockführer oder Linienpilot sein.

Barco Arrastre

Sie alle sagen, das Leben auf See sei nach ihrem Geschmack. Sie alle stammen aus Fischerfamilien. Sie alle sind aber überzeugt, dass ihre Väter und ihre Grossväter von besseren Fischgründen mit reicheren Beständen lebten. Dass die Fänge nicht kleiner geworden seien, verdanke man bloss der Tatsache, dass grössere Schiffe gebaut würden. Die Lluch-Arnau II hat mehr PS als vor 12 Jahren alle Schiffe im Hafen von Benicarlo zusammen. Und nur mit einer hochmodernen technischen Ausrüstung lassen sich die Erträge halten. Überall wird tüchtig ausgefischt. Sie säen nicht und noch ernten sie doch. Paco hat auf der Brücke Radar und einen Echoloten, der sogar Fischsorten erkennt. Er hat einen automatischen Piloten zur Verfügung, der mit der Hilfe von Satelliten Hindernisse auf dem Meeresgrund ortet. Einem Felsen, der das Netz zerreissen könnte, weicht dieser elektronische Steuermann aus, und zwar fortan immer, da er Positionen genaustens memoriert.
Geklagt wird auch über unliebsame Konkurrenz. Die Fischer ärgern sich über Japanische Schiffe, die vor ihrer Küste 10 km lange, mit unzähligen Angeln bespickte Leinen auslegen. Aus Zorn darüber werden spanische Fischer immer öfter zu Piraten und heben den fremden Fang. Sie ärgern sich über Italiener und über Franzosen, die anscheinend von europäisch uneinheitlichen Vorschriften profitieren und fangen, was den Spaniern nach ihren Verordnungen verwehrt bleibt. Das Mittelmeer sei das Aschenputtel der Meere, die Gesetzgebung aus Brüssel sei nicht auf der Höhe der Zeit und noch lange nicht europäisch koordiniert.

Rund 6o Seemeilen legt die Lluch-Arnau II heute zurück. Das Netz schleppt sie 3O Meilen weit über den Meeresgrund. Dreimal wird es geleert, dreimal wird die Beute sortiert. Abends wird sie geteilt. 40 Kisten werden Pedro und Juan-Angel auf einem Handwagen vom Pier zur Fischbörse im Hafengebäude von Benicarlo bringen. Vor der geräumigen Halle werden Fischhändler und Grosseinkäufer aus dem Gastgewerbe ihre Lieferwagen parken. Die Kisten werden am Boden ausgebreitet, begutachtet, versteigert und erst dann gewogen werden. Vom Erlös wird der Reeder die eine Hälfte, die Besatzung die andere bekommen.

Ob die Fische der Hafenhalle am Boden zur Versteigerung oder auf Eis im Laden liegen, richtig kaufen muss man sie können. Frisch und gesund sind sie fest und starr. Niemals schlapp und weich. Die Augen müssen glänzen und die Kiemen sollen gerötet, niemals bräunlich sein. Die Schuppen dürfen sich nicht leicht lösen, dürfen niemals abfallen. Je widerborstiger, desto besser. Dass das Fischfleisch ganz ist, muss man prüfen, und natürlich darf unter keinen Umständen ein Verdächtiger Geruch vorhanden sein. So steht es im Kochbuch.

Nachdem ich zum vierten Mal gekotzt habe, lege ich mich in eine Koje. Jetzt ist es nicht mehr nur der Magen. Mir ist übel. Mir schwindelt, ich bin dem scheinbaren Chaos ausgeliefert. Die Welt tanzt, nirgends gibt es mehr einen einzigen fixen Punkt. Wolken türmen sich zu einer schwarzen Gewitterwand. Blitze gehen nieder.
Nichts, woran sich mein Auge halten kann, alles ist in Bewegung. Das Meer, das Schiff, die Luft, der Himmel, mein Kopf, mein Bauch. Und unter diesen Umständen leisten die Fischer ihre Arbeit. Der Wind nehme noch zu, hat Paco gesagt. Das sieht man an den „Ziegen“, an dem weissen Schaum auf den Wellen. Der Barometer auf der Brücke sinkt weiter. Paco zeigt auf eine Wasserhose von der Grösse einer Kathedrale, als wär es eine Alltäglichkeit. Aber ich sehe nur noch, dass sich alles bewegt, dreht, schwankt. Wie ist es denn eigentlich, im Sturm zu fischen, wenn dies nichts ist? Ohne zu leiden geht es nicht, sagt Juan-Angel.

Kaum liegen wir kurz nach fünf vor Anker, kommen die Frauen der Fischer an Bord. Das Netz wird geflickt. Bevor ich an Land gehe, kriege ich in einer Plastiktüte mehrere Kilo Fisch geschenkt. Alle mit klingenden Namen: Rape, Breca, Juliola, Caballa, Boquerón, Llenguado. Die Seeleute, mit denen ich den Tag verbracht habe, tragen in ihren Plastikeimern ebenfalls je ein paar Kilo nachhause. Ich freue mich, auf den festen Grund unter den Füssen, doch dieser ist nicht fest. Noch am Tag danach sitze ich auf dem Küchenstuhl und spüre, wie das ganze Haus rollt und schwankt, wie es unten im Badezimmer dröhnt wie in einem Maschinenraum.

Sept. 1996

© BPS unveröffentlicht