Essay über das erste Grounding eines Schweizerischen Nationalsymbols lange vor der Swissair.

Allerdings wird inzwischen vermutet, dass von Emmigranten ausgeführte Freiburger Rinder in Chile ziemlich reinrassig überlebt haben könnten.

Erschienen in BCU info Freiburg

Ah, die Alphornklänge, man kann sie hören! Die Alphornklänge, die von Alp zu Alp nach ihr gerufen haben. Und das Geläut der schmiedeisernen Schellen. Noch wiederhallt es mindestens bis zu den Souvenirläden in die Städte hinein, denn die schwarz-weiss gescheckte Freiburger Kuh steht im Zentrum der Freiburger Folklore, einer der wunderbarsten Blüten unter den bekannten Hirtenkulturen. Greyerzer Alpaufzüge sind über die Volksmalerei hinaus legendär, brachten es sogar zu einem eigenen kleinen und feinen Museum in Bulle. Ganz allgemein scheinen die Menschen mit und von diesem Tier nicht schlecht gelebt zu haben. Die Gerätschaften und die Werkzeuge, die im Umgang mit ihr benützt wurden, zeugen zusammen mit den malerischen Trachten und der Anmut der Häuser und Ställe von einigem Wohlstand.
Die Volkskunst rund um die schwarz-weiss gescheckten Freiburgerkühe hat es auch entsprechend weit gebracht. Sie wird schweizweit mit Fondue, Greyerzer, Vacherin und Doppelrahm in Verbindung gebracht.
Dazu wird die Freiburger Kuh auch noch in üppigen Liedern besungen und grosse Dichter, unter anderm Meister Ramuz, hatten ein Auge für ihre Vorzüge, schliesslich steht keine andere Schweizer Kuh so elegant und fotogen in modernem Schwarz-Weiss auf Postkarten, Prospekten und Etiketten. Vermutlich hat sie sogar das Kantonswappen geprägt.
Gediegen schwarz-weiss stehen auch weiterhin schwarzgescheckte Kühe auf den fast märchenhaften Bilderbuchweiden des Greyerzerlandes. Aber eben: Der Schein trügt. Die eigentliche Freiburgerrindviehrasse ist bekanntlich längst ausgestorben. Oder besser gesagt: Sie wurde genetische derart massiv unterwandert, dass sie faktisch nicht mehr existent ist, weil sie sich durch eine „Verdrängungskreuzung“ in sogenannt schweizerisches Holsteinvieh verwandelt hat. Zuerst habe man die Freiburgerkuh mit Friesischen Schwarzbunten, dann mit kanadischen Holstein Friesen gekreuzt. Die ersten dazu benötigten fremdländischen Tiere wurden bei Nachtundnebelaktionen über die grüne Grenze geschleust. Und zwar aus dem damals viehrassentechnisch lieberaleren Frankreich in den Jura und dann in die freiburgischen Ställe.
Jedenfalls stellt man sich das vom Schreibtisch aus so vor. Sicher ist aber, dass diese clandestine Viehschlepperei beim damals noch intakten Selbstverständnis echt schweizerischer Unfehlbarkeit, gewissermassen der Schändung nationalen Erbgutes entsprach.
Dabei war die Freiburgerrasse längst zu wenig zahlreich, von zu kleiner Population. Genetisch zu beschränkt, würde man wohl sagen. Es seien sogar Erbfehler aufgetreten.
Bei diesem offensichtlichen blinden Beharren auf vermeintlich Bewährtem, braucht man nicht viel von Viehzucht zu verstehen, um an den Untergang anderer Mythen erinnert zu werden. Gut, es war nicht das Schweizerkreuz, aber doch immerhin ein wandelndes Kantonswappen, das mit der Freiburgerrasse zu Boden ging. Immerhin waren die Kuhrassen Chefsache, wurden also vom Bundesrat selbst mit Argwohn beaufsichtigt und möglichst von fremden Einflüssen fern gehalten. Die damaligen Schweizer Viehrassen – Braunvieh, Simmentaler, Freiburger und Eringer – waren gewissermassen urheberrechtlich geschützt und galten als ebenso unantastbar und heilig wie so manche inzwischen entmytifizierte schweizerische Errungenschaft.
In gewissem Sinne also ein erstes kleines unbemerktes, aber symptomatisches Grounding. Allerdings eines, das die Öffentlichkeit kaum bemerkte.