Eiger, Mönch und Jungfrau im NebelEin Organhandeltheater
nach dem gleichnamigen Kriminalroman von Paul Wittwer

«Wo heit dr die Niere? Vüre mit dere Niere! Ig wott die Niere!»
Grossenbacher, ein reicher Kunsthändler und Patient, wartet auf seine Niere. In der Privatklinik Eiger in Bern besteht die Möglichkeit, sich eine zu kaufen. Die Versorgung ist zwar nicht ganz legal, aber wer den richtigen Preis bezahlt und schweigt, der kann sich sein Organ leisten. Diejenigen, die zu viel wissen, schauen weg oder werden aus dem Weg geschafft…
«Dir heit immer e Niere! Es chunnt nume druuf a wär se wott!»

Besetzung 9 Damen / 6 Herren
Bild Andeutungsbühne

Personen
Frau Doris Knecht Mutter von Max Knecht
Frau Irina Knecht Schwester von Doris Knecht
Dr. Laura Saurer Direktorin Parkklinik Eiger
Dr. Petra Schweizer Assistenzärztin
Dr. Margrit Ackermann Abteilungsärztin
Schwester Dimitra Krankenschwester
Schwester Dolores Spanische Krankenschwester
Karin Kneubühler 80 jährige Kniepatientin
Veronika Bühler Angehörige
Professor Weigert Chefarzt Chirurgie Inselspital
Dr. Franco Weber Oberarzt
Dr. Adrian Zimmer Abteilungsarzt
Dr. Heiner Zurflüh Abteilungsarzt
Hans Bühler Nierenempfänger
Hermann G. Grossenbacher Nierenpatient

Anmerkungen zu den Figuren:
Schwester Dolores spricht Spanisch, was aber durch jede andere in Spitälern anzutreffende ausländische Sprache ersetzt werden kann. Die Krankenschwestern sollten aus realistischen Gründen je nach Möglichkeit der Schauspielerinnen unbedingt eine ethnische Färbgung erhalten (Kroatisch, Portugiesisch, etc.)
Alle Darstellenden sollten die Dialektfärbungen unbedingt so der eigenen Mundart anpassen, dass die grösstmögliche Selbstver-ständlichkeit erreicht werden kann. Wichtig wäre, dass Grossenbacher und Prof. Weigert und Frau Dr. Saurer stadtbernisch, also „besseres“ Berndeutsch sprechen. Z. B. Chilchefäld, Hund. Nicht: Chiuchefäud, Hung.
Bühne
Was aussieht wie Bühnenanweisungen sind nur Beschreibungen räumlicher Möglichkeiten, wo sie nicht aus dem Text hervorgehen. Bei der Uraufführung erwiesen sich die Vorhänge, wie sie in Spitälern zwischen Betten gezogen werden können, als praktisches, gestalterisch effektvoll ordnendes Bühnenelement.

Zwischentexte
Die Zwischentexte sind Zitate aus dem Kriminalroman „Eiger, Mord und Jungfrau“. Ihre Aufgabe ist es, zu dokumentieren, dass es sich bei dem Stück um eine Dramatisierung handelt, die versucht, der Vorlage gerecht zu werden und ihr bis hin zum sprachlichen Duktus möglichst treu zu bleiben.

1. Akt
1. Szene
Auf dem Friedhof beim Gemeinschaftsgrab: Ein kubischer Betonklotz von knapp zwei Metern Höhe auf einem rechteckigen Podest, ebenfalls aus Beton. Die Trauergemeinde betet mit dem Rücken zum Publikum. Dr. Franco Weber stösst als einziger nicht in Schwarz und als letzter dazu. Über Lautsprecher oder auf einer geeigneten Fläche erscheint ein erstes Zitat aus dem Roman.
„Dieser letzte Akt des Abschiednehmens war ihm stets fremd geblieben. Seit Jahren war er nicht mehr an einer Abdankung gewesen, obwohl er in seiner Tätigkeit als Arzt fast täglich Menschen sterben sah.“
Chor Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Doris Knecht in Begleitung ihrer Schwester, die ihr sehr ähnlich sieht, die sie stützt und ihr Taschentücher reicht, sich dann diskret im Hintergrund hält. Sie spricht leicht gebrochenes Deutsch und Berndeutsch. Franco! Schön dass Dir da syt. Dr Maximilian! Für alli unfassbar aus dem Leben gerissen. Ig muss Sie spräche, unbedingt.
Dr. Weber drückt den Schwestern die Hand. Mys härzleche Byleid Frou Chnächt. Ig cha’s fasch nid gloube. Ich möchte Ihnen mein Beileid aussprechen.
Doris Knecht weint. Merci, merci. Ich danke Ihnen Franco.
Irina Knecht Wir danken Ihnen.
Dr. Weber Wenn ig öppis cha hälfe. Wenn ich etwas tun kann…
Doris Knecht Sie könnten sehr viel für mi hälfe, Franco, bitte sehr. Ich wäre sehr froh, wenn wir uns könnten sprechen einmal.
Schwester reicht ihr Taschentuch. Sie trocknet sich die Augen und schneuzt sich.
Dr. Saurer autoritär und schwer mit Gold behangen. Eventuell begleitet von Chauffeur, der sich im Hintergrund hält. Spricht durcheinander Berndeutsch und Schweizer Hochdeutsch. Liebi Frou Chnächt, liebe Frau Knecht, ich möchte Ihnen noch einmal mein Beileid ausdrücken. Ihr Sohn hat für uns gearbeitet. Ich bin die medizinische Leiterin der Parkklinik Eiger. Doktor Laura Saurer. Reicht auch Weber die Hand. Sy mir üs nid o scho begägnet?
Dr. Weber Doch, doch. Mir betreue öppe Patiänte by öich im Eiger. Ig bi da ir Insel. Uf dr Transplantationschirurgie. Zeigt über eigene Schulter. Dr Max Chnächt u ig hei zäme studiert. Wäber isch my Name. Franco Wäber.
Dr. Saurer zu Frau Knecht. Öie Sohn isch i üsem Team e kompetänte u beliebte Kolleg gsy. Es tuet mr würklech Leid. Ich bin für Sie da, Frau Knecht. Und Frau Bolliger, unsere administrative Leiterin, wird sich in den nächsten Tagen bei Ihnen melden.
Doris Knecht schluchzt. Danke Frau Doktor, ich danke Ihnen.
Irina Knecht Danke Frau Doktor.
Dr. Saurer Und jetzt entschuldigen Sie mich. Der Chauffeur wartet schon.
Frau Knecht zu Franco. Darf ich alüüte, Franco, ir Insel? Bitte sehr, in den nächsten Tagen?
Dr. Weber Aber Frau Knecht, wann immer Sie wollen.
Frau Knecht Sicher, ja? Danke. Danke. Danke.
Irina Knecht Wir danken Ihnen.
Alle ab.

2. Szene
In der Insel. Alle in Weiss. Ein Kommen und Gehen. Spitalbett wird über Bühne geschoben. Organkühlbox wird vorbeigetragen. Schwestern eilen vorbei. Auftritt Dr. Weber, mit offenem, fliegendem Mantel, sieht Papiere durch.
Lautsprecher Dr. Weber bitte in den Aufwachsaal! Hallo Dr. Weber! Dr. Wäber! Oberarzt Doktor Weber gesucht! Dr. Weber bitte zum Notfall! Dr. Weber bitte ans Telefon. Dr. Weber bitte melden. Oberarzt Wäber bitte i OP 6! Hallo! Dr. Weber! Dr. Weber wird auf der Notfallstation dringend verlangt. Dr. Wäber bitte sofort i Ufwachsaal. Dr. Wäber! Dr. Weber! Wäber. Wäber. Weber. Weber. Wäber. Wäber.
Dr. Ackermann He, Franco! Di han ig überall gsuecht. Bisch ar Beärdigung gsy?
Dr. Weber Bisch du nid gsy?
Dr. Ackermann ins Handy. Er isch da. Er isch zrügg. Zu Weber. Ir Notufnahm. Sofort. Akuti Durchbluetigsstörig am Bei vo re achtzgjährige Patiäntin. Ds Gfässröntge isch ygleitet. D Lyschtearterie isch zue.
Dr. Weber Vor nid mal zwo Stung hei sie my bescht Fründ kremiert. – Mit Einedryssgi. Zum Publikum. U itz chöme sie mir scho wieder mit emene achtzgjährige Scheiche.
Dr. Ackermann Söll i grad em Ops Bscheid gä?
Dr. Schweizer kreuzt sich mit Franco, der im Gehen Fieberkurven anschaut, gehen aneinander vorbei. Die letzten Worte sprechen sie über die Schultern zurück. Ou Franco! Du bisch zrügg! Guet! Sehr guet. Gäll, dr Ustritt nid vergässe.
Dr. Weber Sy d Papier parat?
Dr. Schweizer Es fählt nume no dys Autogramm.
Dr. Ackermann Franco! Bitte! Ig ha di gfragt, öb ig am Ops söll Bscheid gä?
Dr. Schweizer Du hesch doch d Wunde im 109 no sälber wölle aluege?
Dr. Weber Als Arzt darf me doch o mal a ne Beärdigung. We o nume so schnäll schnäll. Bisch du überhoupt scho mal a re Beärdigung gsy?
Dr. Schweizer Die Wunde weisch, wo me sött verbinge?
Dr. Weber Fasch jede Tag gsehsch wie öpper stirbt. Aber a re Abdankig, da bin i syt Jahre nümm gsy. Fang nume a, ig chume nache… Beim Weiterlesen in den Papieren. …sobald ig im Ufwachsaal fertig bi.
Dr. Ackermann Franco, ig ha di gfragt, öb ig däm Ops söll d Date düregä?
Auftritt Schwester Dimitra.
Dr. Weber freut sich offensichtlich, Schwester Dimitra zu sehen und kommt ihr zuvor. Nume Geduld, e halb Stung und ig chume, nume Geduld. Dir söttet übrigens das Grab, es Gmeinschaftsgrab, o mal gseh! Dr Tod, i säge nech.
S. Dimitra Müesst nid hetze! Aber d Familie isch da. Die Aghörige vom Herr Bühler.
Dr. Weber Ou dr Bühler! Die früsch operierti Niere! Han i wieder öppis verschwitzt?
S. Dimitra Sie hei mit öich e Termin. Am sächsi wär er gsy.
Dr. Weber Sie sölle no gah nes Kaffee näh.
S. Dimitra U dr nöi Nierepatiänt wett nech unbedingt gseh. Scho die ganzi Zyt. Dä tuet ziemlech wichtig.
Dr. Weber O däm geit’s a d Niere. Wie heisst er scho nume?
S. Dimitra Hermann G. Grossenbacher. Ab.
Dr. Ackermann Franco, ig ha di gfragt, öb ig itz däm Operationssaal söll Bscheid gä?
Dr. Weber Wäge dere verstopfte Arterie. Wie dringend isch es?
Dr. Ackermann D Patiäntin het Schmärze. Starchi Schmärze. U i gspüre ke Puls meh am Chnöi…
Dr. Weber während er an Stehpult in Papieren wühlt. U wie gseht das 80-jährige Bei uus?
Dr. Ackermann Bleich, sehr bleich. U dr Fuess isch ziemlech chalt.
Dr. Zurflüh kommt dazu. Franco, ändlech. Dr Bühler! Wäge der Narbe. Wo du ar Beärdigung bisch gsy.
Dr. Weber schreibend Zurflüh ignorierend zu Ackermann. Chälter als dr anger Fuess? Unterschreibt Papiere. U d Sensibilität? Gspürt sie no öppis, we ds Bei berüehrsch?
Dr. Ackermann Ig gloube scho. Dr Radiolog meint aber, es gsehi nid guet uus.
Dr. Weber Aber Margrit! Mir müesse wüsse, öb das Bei gfährdet isch oder nid. Da hilft kes Röntgebild. Mir behandle Patiänte…
Dr. Ackermann …u nid Röntgebilder! Ig weiss.
Dr. Weber schaut zum Fenster hinaus auf Eiger, Mönch und Jungfrau. De ungersuechsch das Bei no einisch, aber richtig. I re Viertelstung bin ig dert. Zu Heiner Zurflüh. U mit em Bühler? Was isch mit em Bühler?
Dr. Zurflüh Mir isch es es Rätsel. Ehrlech gseit. Aber bitte, du hesch ne unger em Mässer gha.
Dr. Weber Ig weiss, dass ig ne operiert ha. Aber was du dänkisch, han i gfragt!
Dr. Zurflüh Buuchweh het er. Dr Bluetdruck gseht guet uus aber dr Puls isch tachikart. U syt der Operation het er drei Liter Flüssigkeit übercho u trotzdäm chuum meh als e Deziliter uusgschiede. – Aber a mene Ort muess das Züg ja sy. Villech e Sickerbluetig i der Naht…
Dr. Weber Das hätt mr no grad gfählt! – Hesch ne de scho la schalle?
Dr. Zurflüh En Ultraschall? Also en Ultraschall, das hätt i scho dir wölle überla. Ig ha allerdings nid chönne wüsse, dass du so spät vom Max syre Beärdigung zrüggchunsch.
Dr. Weber O ne Arzt darf mal a ne Beärdigung. – De gahn ig itz schnäll zum Chef. Dä wartet.

3. Szene
Links Büro Prof. Weigert.
Prof. Weigert hinter seinem Schreibtisch links. Kollega Wäber, ig weiss, d Zyt isch knapp, aber es geit um d Zuekunft vo üsere Forschigsabteilig. Wäg em Spardruck steit üses Labor plötzlech wieder einisch uf der Abschusslischte. Wie we me em Profitmotiv eifach alls dörft opfere. U uf üsem Gebiet gah spare! Uf üsem Gebiet wohlverstande. – Ig muess unbedingt rette, was no z retten isch. O we d Kasse wieder mal völlig düredrähie u der Bundesrat natürlech nüt als nache! – Es tuet mr Leid, aber ig muess öich bitte, morn am Morge am achti my Vorläsig z übernäh. Es geit drum, d Staatskandidate uf e nöischt Stand vo dr Immun-suppression z bringe. Dir chöit dene zeige, dass o ne Chirurg öppis vo dr Immunologie muess verstah. Sorget derfür, dass sie öppis vo dene Dimensione begryfe. Zum Publikum. D Abstossigsreaktione sy immer no üses gröschte Problem. U zwar by wytem!
Dr. Weber Ig danke für ds Vertroue, Herr Profässer!
Prof. Weigert Louft süsch alles rund? Dir würket ehnder agspannt. Oder tüschen ig mi? – Villech würden es paar Tag Ferie nüt schade.
Dr. Weber Es isch ällwä dä Tod vom Kollega Max Chnächt. Dä trifft mi meh, als ig zersch gmeint ha.
Weber geht zu Patientenbett rechts, wo Dimitra, Dr. Zurflüh und die Patientin warten.
Prof. Weigert Nähmet ruhig es paar Tag frei. Nume lieber nid grad morn. Ab.

4. Szene
Beim Patientenbett.
„Er arbeitete gerne mit Schwester Dimitra zusammen. Dies lag nicht nur an der Art, wie sie die Arbeit anpackte, sondern ebenso sehr an den ausdrucksvollen Augen, welche ihn im Moment erwartungsvoll anblickten.“
S. Dimitra Syt guet drei Stung scheidet er chuum meh Urin uus.
Dr. Zurflüh Flüssigkeit het er ömel gnue übercho. Was mir da hei ynegla….
Zu dritt treten sie ans Bett.
Dr. Weber Grüessech Herr Bühler. Stellt vor. Dr. Wäber. Oberarzt. – Syt dänk schläfrig vo dene Tablette? Heiter immer no Schmärze?
Hans Bühler nickt heftig. Herr Dokter loset… Ig muess unbedingt gah bysle.
Dr. Weber zieht Bettdecke zurück, untersucht und klopft Bauch ab. Dir chöit äbe nid sälber Wasser löse. Drum heiter da i dr Buuchdecki es Schlüchli. Wei mr mal chly gnäuer luege, wie’s so geit mit däm Buuch?
Patient stöhnt, während Franco Urinbeutel an der Stange betastet.
D Blase isch ganz voll. Gott sei Dank. Kes Wunder, dass dr Herr Bühler Schmärze und e schnälle Puls het: Dr Blasekatheter isch verstopft. Mit vorwurfsvollem Blick auf Abteilungsarzt. We mir dä spüele, wär das Problem glöst. Es geit nech itz de grad sofort besser. Müesst luege, das chunnt itz literwys.
S. Dimitra Ds Schlüchli. Das git’s mängisch. Herr Bühler. Ig tue’s uusspüele. Tuet’s ech nid weh da? Es isch liecht rot. Ig tue nech de no es Chläbi häre, dass es nid zupft am Katheter.
Dr. Zurflüh während Dimitra zu Bühler spricht. Für das bruucht’s allerdings ke Ultraschall.
Dr. Weber O ke Operation. Zum Publikum. Derfür villech chly gsunge Mönscheverstang.

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