Versuch über die Geschichte einer Insel

Jamaika
Jamaika

Aus dem Meer kamen wir in einer anderen Zeit an Land.
In einer anderen Zeit gehe ich aus dem Meer an Land.

Schiffbrüchig, an eine Planke geklammert, sichte ich Land.
Ich wusste nicht, woher ich kam.
Ich wusste nicht, dass ich schwanger war.

Bestellt für Mississippi und Tennessee,
flehe ich auf Deck um Schatten und Wasser,
zu Tausenden erkranke ich in Kerkerkot.
Untauglich werde ich ausgestossen.
Nass und nackt.
In mir ist Afrika.

Gebrandmarkt werde ich an Land getrieben.
Vergewaltigt werde ich an Land geschwemmt.
Entkommen dem Meer.
Entkommen dem Schiff der Weissen Menschenfresser,
das die Hölle war.

Ich werde gefangen, vermarktet, vertilgt.
Ich werde über Bord geworfen.
Ich verhungere, ich verdurste.
Ich werde gefüttert, getränkt, gewaschen, gesalbt.
Mich brauchen die Plantagenbesitzer.

Ich wurde gefoltert, verstümmelt.
Ich wurde geknechtet, gerichtet.
Ich flüchte und ich flüchte wieder.
Ich wurde erschlagen, erschossen, erhängt.
Ich rannte bis ans Meer zwischen mir und Afrika.

In mir, war alles, was ich besass.
Die Erinnerung an den Gang über den Boden,
auf dem ich geboren war,
in Afrika.
Die Erinnerung an den Gang über den Boden,
auf dem ich eins war
mit dem Tag und der Nacht.
Die Erinnerung an den Gang über den Boden,
auf dem ich eins war
mit dem Wasser, das ihn tränkte,
mit der Frucht die er barg.
Die Erinnerung an die getrommelten Pulsschläge
meines Stammes,
mit denen ich eins war.

In Afrika wusste ich nicht, wo ich war.
Ich war mein Bruder,
ich war meine Tochter,
ich war der Baum,
ich war die Wolke und das Gewitter.
Ich war Afrika.
Als Sklave bin ich der Traum von Afrika.

Entführt, entwurzelt,
habe ich auf der Insel Fuss gefasst.
In ihrem Innern,
im Dschungel und in den Bergen,
habe Schutz gefunden
vor der Peitsche der Treiber,
vor den Schüssen der Häscher,
vor den weissen Herren,
die kamen und gingen.

In den Bergen,
die mir meine Zeit verwahrten,
harrten der wirbelnde Wind und der schwarze Himmel,
aber die sanfte Brise vom Meer
füllte meine inneren Segel
und ich fand meinen Schritt.

Ich rieb mir die Gelenke,
entfesselt,
meine Glieder ohne Eisen.
Meine Beine tanzten die Freiheit,
meine Hände suchten die Trommeln,
meine Hüften sind die Wogen des Meeres
zwischen mir und Afrika.

Du hast das Ziel und die Arbeit gefunden,
den Besitz hast du geheiligt,
aus meiner Hütte
hast du mir deinen Weg gezeigt.
Deinen Weg, den du nicht alleine gehen kannst.

Du hast mir das Fahren
und das Maschinenfliegen beigebracht,
alles was ich habe, das hab ich von dir.
Nur was ich bin, das nimmst du mir nie.

Die Gewalt hast du erobert,
mit ihr hast du die Welt für blind erklärt.
Meiner Schwäche trauend,
legst du mir unablässig deine Rechnung vor,
in denen ich arbeitslos die Fehler trage.

Du machst Bilder von mir
in denen ich mich nicht wiedererkenne.
Schwer wie Waffen
hängen dir die Kameras am Hals,
aber zivilisiert fragst du
nach meinem Wohlergehen.
Willst du meinen Namen wissen?
Nil ist mein Namen.
Nil.
Man sagt mir, so heisse auch der grösste Fluss
in Afrika.

Deine sich ausleiernden Rituale
zelebrieren wir noch mit Inbrunst und Trommeln.
In deiner Kolonialgeschichte
siehst du nur Rischka-Romantik und Grosswildjagd.
Du siehst Schaukelstühle auf den Veranden
malerischer Bungalows.
Du erschaukelst dir ein gutes Gewissen,
denkst an goldene Droschken, Bärenfellmützen,
an edle Könige und ihre Statthalter.
Du hörst Marschmusik
und den satten Knall des Kricket-Schlags.
Reissende Papierschlangen
an gesitteten Riesendampfern.
Missionare bei den Menschenfressern.

Du siehst nur noch den Kolonialismus
aus den Hochglanzbildbänden,
die du so gerne auf jenen Tischchen liegen hast,
denen mein Tee und meine Kaffee den vollen Namen gaben.

Auf die Schönheit der Natur,
auf die hast du es hier abgesehen.
Deinem Vogel hast du den Nestbaum gestohlen,
seinen Wurm hast du vergiftet,
zwingst ihn zum Weiterflug
mit den Abgasen deiner Unruhe.

Aber mein Vogel
soll dir hörbar Hoffnung trällern,
dich beflügeln mit seinem kühnen Flug
am blauen Tropenhimmel,
den doch du mit deinen Jets
täglich in tausend Stücke zerreisst.

Ah, die Arme der Herren sind länger,
die Wege der Gewalt verschlungener geworden.
einige von uns
hast du zu teuren Komplizen gemacht.

Den Unionjack auf der Kaserne und Kings House,
hast du mit Sternbanner
aus jener Bank vertauscht,
in der du in deinen jetzt grauen Uniformen,
so unauffällig verkehrst,
als schämtest du dich
deiner undurchsichtigen Macht.

Mich aber willst du bunt
und unpatriotisch sehen.
Deine Medien füllst du mit den Schmerzen
der zweifelhaften Freiheit,
die du mir zurück erstattet zu haben glaubst.

Einen alten Kittel hast du mir durchlöchert
hingeworfen.
Gibst mir zu tragen, was du selbst nicht mehr trägst,
denn deine eigene Loyalität
hast du längst internationalisiert.

Weltumspannenden Handelsgiganten
bist du treu und hörig,
wie einst den absoluten Monarchen.
Für deinen Brotherren springst du längst
über meine Grenzen,
rollst mit dem Markt und stirbst an der Börse.

Es ist mir nicht entgangen,
dass deine Behausungen edler stehen
als die schiefen Pflöcke meiner Hütten.

Auch die Herberge,
in der ich dich bediene,
magst du am liebsten am längsten Strand,
unkompliziert, aber schön,
und noch erfreut sich der Kolonialstil
besonderer Nachfrage.

Badebucht, Schönheitssalon
und Glück im Spielcasino
bringen Bewegung in deine Leere,
die ich auch mit meiner Musik zu tilgen weiss.

Du aber, du weißt
von den nächtlichen Schüssen in meinen Hütten.
Während ich dir auf dem Liegestuhl
Snacks und Drinks
serviere,
machst du sogar freundlich
deine schwache Faust für unseren Kampf.

Du, der du nie du bist,
immer Christ und Helfer, Wissenschafter, Techniker.
Du, der immer vorgibt,
mehr zu bringen, als zu holen,
mir sein schwarzes Köfferchen aber nie
entschlüsselt zeigt,
du brachtest mir die Glühbirne
und verkaufst mir den Strom,
du brachtest mir Radio und Fernsehen,
die Eile
und die Stadt.

Hoch hast du dich vor mir aufzurichten gewusst.
Wo ich einst deine breiten Treppen bestieg,
beeindruckst du mich heute mit Katapultfahrstühlen,
mit deinem sachlichen Umgang,
mit der Ordnung der Maschinen.
Mit der geschulten Freundlichkeit
der Sekretärin, die meine Schwester war.

Du hast mich vergewaltigt,
du hast mich zivilisiert.
Meine Götter hast du entlassen,
kichernd sind sie davongegangen.
Einen weissen, machtbesessenen Gott
hast du mir an ihrer Stelle mitgebracht.
Nur in seinem Namen seist du aufgekreuzt.

Dein allmächtiger, bewundernswerter Gott!
Er vergibt dir so viel,
dass ich auch bete und hoffe,
dass er sich mir barmherzig zeigt.

Aber wie ich ihn auch anflehe,
wie ich mein Kinder auch weisser
als deinen Schnee kleide,
wie ich ihn auch liebe,
er sieht nur dich,
und verlegt ins Jenseits
alles, was er mir verspricht.

Aber komm,
ich hole dir das Gepäck,
das dich bürdet, vom Flughafen.
Ich hole dir den Fisch,
der dir entkommt,
aus dem Meer.
Ich hole dir Aki
von meinem Baum.
Willst Du mein Gesicht sehen?
Ein Lächeln bin ich dir immer voraus.

© BPS

Ein epischens Gedicht. Zuerst erschienen: Zeitschrift „Drehpunkt“, Nr. 68, unter dem Titel „In mir ist Afrika“ 1987