Am 6.Sept 2010 versucht in Kallnach BE/CH beim sogenannten Autorengottesdienst auf Einladung der Pfarrherrin eine Predigt zu halten.
Auf einem Heuboden, also in einer Scheune, sagte ich folgendes:
Als ich mich bemühte, dieser Herausforderung, eine Predigt zu schreiben und diese auch zu halten, gerecht zu werden, habe ich mich gefragt, was könnte ich zu sagen haben?
Was kann ich Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren in der mir unvertrauten Form der Predigt mitgeben, das meine Anwesenheit rechtfertigen würde?
Vielleicht ist es für Sie selbstverständlich, dass Sie hier sind. Vermutlich gehen Sie sonntags öfter oder sogar immer in die Kirche zum Gottesdienst. Vermutlich sind Sie gläubig. Möglicherweise sind Sie regelmässige Leser und Leserinnen der Heiligen Schrift.
Weil ich selbst weder ein Kirchgänger noch ein eigentlich Gläubiger bin und auch nur ein sporadischer Leser der Bibel, haben Sie vorerst das Recht, zu erfahren, warum ich es wage, hier im Rahmen dieses Gottesdienstes, zu Ihnen zu sprechen.
Warum bind ich hier?
Einmal weil mich das Wort predigen reizt. Als literarischer Autor darf man nicht predigen. Ein Literat predigt nicht. Wehe! Predigen beinhaltet nämlich eine Moral, ein Unten und ein Oben, predigen beinhaltet Werte.
Gute Literatur dagegen bemüht sich, wertfrei zu funktionieren. Der Literat gestaltet Worte und Sätze, erschafft in einem Roman vielleicht sogar eine ganze Welt, aber diese Welt muss nach eigenen Werten und Gesetzen funktionieren, gehorcht sie den Anliegen des Autors oder der Autorin, geht es in der Regel schief und wird kitschig und trivial.
Eine Predigt dagegen wird in einer Kirche gehalten und steht und funktioniert innerhalb des Christlichen Glaubens, dem sie zu dienen hat und dessen Wertsystem und dessen Gesetzmässigkeit, wenn ich das richtig verstehe, durch die Heilige Schrift, durch das sogenannte Wort Gottes vorgegeben ist.
Für mich ist eine Predigt also eine Textform, die folglich nur im Kontext des Glaubens zu verstehen ist. Wenn die Predigt ursprünglich der Verkündigung des Evangeliums diente, so hat eine Predigt eben anders als beispielsweise ein Gedicht, ein Ziel und einen Zweck.
Ich bin aber auch hier, weil ich, nachdem ich schon zweimal im Rahmen eines kirchlichen Gottesdienstes eben zweckfreie, literarische Texte gelesen habe, nun dachte, versuchen wir es doch mal mit einer richtigen Predigt. Nur Mut, dacht ich, denn etwas ist mir sehr bewusst: Gott beschäftigt mich sehr wohl. Ich denke oft an Gott. Was das ist oder sein könnte. Und ob ich denn nun mit oder ohne Gott lebe. Ich denke auch an jenen Gott, der andere beschäftigt und ich begegne Gott und Gottgläubigen oder Ungläubigen immer wieder auch in der Literatur. Ja, Gott beschäftigt mich, deshalb bin ich hier.
Die Gefahr des Grundsätzlichen und der grossen Fragen.
Es ist mir natürlich auch bewusst, dass die Gefahr besteht, dass ich hier gleich viel zu viel will sagen wollen werde, dass ich Sie als Gläubige vermutlich mit Gedanken und Fragen belästige, die für Sie längst abgehakt sind. Ich bitte also um Nachsicht, wenn ich mich zu persönlich, zu grundsätzlich äussere.
Vorgehen
Aber als ich mir überlegte, was ich ihnen mitgeben könnte, griff ich als erstes zu den verschiedenen Listen von schönen Textstellen, die sich über die Jahre auf verschiedenen Zetteln bei mir in den Büchern um die Bibel und in der Bibel angesammelt haben.
Bibel als Literatur
Zum Beispiel: Alles hat seine Zeit, der Herr ist mein Hirte, Dir wird nichts mangeln und…. hätte der Liebe nicht ….und liebet Eure Feinde und klopfet an, so wird Euch aufgetan, und Dein Sohn ist tot und mein Sohn lebt…. und es gibt keinen faulen Baum der gute Frucht trägt …der Herr ist der Schatten über Deiner rechten Hand – für einen Schreiber ja nicht unwichtig -und dass sie Dich auf den Händen tragen und meine Wege sind nicht eure Wege und wieder…. aber hätte der Liebe nicht …oder auch immer wieder: Beweiset Eure Wunder!
Sie kennen diese Worte alle viel besser als ich, haben in Predigten Auslegungen und Vertiefungen dazu gehört und Sie haben sich dazu Gedanken gemacht. Ich für mich bemerkte aber, dass mich bei den meisten dieser gesammmelten Verse und Sprüche mein Ohr veranlasst hat, ihnen eine besondere Bedeutung beizumessen. Das heisst, mir sind offensichtlich viele Stellen in der Bibel sehr teuer, aber nicht, weil ich denken würde, sie seien der Weisheit letzter Schluss oder sie würden mir helfen, wenn ich sie mir hinter die Ohren schriebe und an sie glauben könnte, besser und glücklicher zu leben. Nein, die meisten dieser Stellen habe ich markiert oder kopiert, weil ich sie schön finde. Ich habe auf sie reagiert, wie ich als Leser und Literat auf andere schöne Stellen in schönen Büchern reagiere.
Bibel als Bibel
Ich fand in meinen ziemlich chaotischen Zetteln aber auch ein paar andere Zitate. Zwei davon möchte ich Ihnen näher bringen, weil sie das Spannungsfeld markieren, in welchem sich wohl viele Nichtkirchgänger und viele Nichtkirchgängerinnen wie ich mit Gott beschäftigen und weil ich mir damit auch einbilden darf, ich würde mindestens versuchen, so vorzugehen, wie sich das für eine Predigt gehört, indem ich eine Bibelstelle als Ausgangspunkt wähle. Zwei Bibelstellen auszuzwählen, ist aber wohl eher unüblich.
Gott der Allmächtige
Das erste Zitat ist aus den Briefen an die Römer Vers 20 in Kapitel 9 und handelt vom allmächtigen Gott:
Ja lieber Mensch, wer bist Du denn, dass Du mit Gott rechten willst? Spricht auch ein Werk zu seinem Meister?
Dieser Vers besagt eigentlich, es gyt nüt ds schtürme. Denn in Vers 21 heisst es auch noch:
Hat nicht ein Töpfer Macht, aus einem Klumpen zu machen ein Gefäss zu Ehren und das andere zu Unehren?
Ich für mich ziehe daraus die Erkenntnis, das ich, der ich bei Lichte betrachtet in diesem Gefüge von Unendlichkeit, das wir heute das All oder das Universum nennen, ja wirklich nicht mehr als ein Klumpen Lehm bin, ich Klumpen brauche mich nicht auch noch mit unserer Welt herumzuschlagen. Wozu mit Gott hadern? Wozu beten? Er wird es richten und mich Klumpen formen oder fallen lassen wie er will. Ich finde das eigentlich recht angenehm, diese Idee von Gott, aber ich fühle mich durch sie nicht gefordert, sondern entlassen. Es ist wie es ist. Alles hat seine Zeit. Les jeu sont fait. Gott ist meine Hirte und er weiss eh alles besser. Auf Wiedersehen. Das ist dieser Gott als Teil eines grossartig durchdachten Systems in welchem alles abdeckbar und erklärbar ist. Es ist dieser grossartig erfundene Gott, den übrigens in einem Zeitungsgespräch, unser immer witziger und geliebter Polo Hofer einmal unserem immer klugen und schlagfertigen und ebenso geliebten Dichter und Pfarrer Kurt Marti vorgehalten hat, Gott sei eine Erfindung. Gott isch doch en Erfindig, sagt Polo Hofer in diesem Gspräch und Kurt Marti anwortete gelassen. Natürlich sei Gott eine Erfindung, aber eine gute.
Exitenz Gottes ist keine Frage mehr.
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Glauben Sie jetzt ja nicht, dass ich hier aushole, um die Existenz Gottes in Frage zu stellen, nein, die Frage nach der Existenz Gottes berührt mich mittlerweile fast als pupertär oder kindisch und interessiert mich überhaupt nicht mehr, obschon mich mittlerweile in unserer noch dominanten mitteleuropäischen Kultur, die bei dem Doppelpack von Katholizismus und Protestantismus tief in der Schuld steht, für eine gegenteilige Haltung niemand mehr köpfen oder Vierteilen würde.
Heute ist Gott zu verneinen gratis. Sogar wenn diese Verneinung in vollem Bewusstsein geschieht und nicht einfach im Gefolge einer Konvention, wie sie in weiten Kreisen und insbesondere bei der Jugend in unserern mitteleuropaischen Geselschaften heute ebenso dominant ist, wie vor wenigen Generationen das von autoritären Kirchen bewachte und überwachte Gegenteil.
Ich habe aber grenzenlosen Respekt vor denjenigen, die für ihre Überzeugungen gestorben sind und ich habe ebenso Respekt vor den Gläubigen, die für ihren Glauben ihr Leben liessen und ich habe auch für die Ungläubigen Respekt, weil ich weiss, dass sie nicht einfach Gott ablehneten, sondern immer nur einen bestimmten Gott. Zum Beispiel jenen Gott, der nicht nur Glück und Segen sondern auch Macht und Reichtum nach eigenen, undurchschaubaren Gutdünken eigentlich ziemlich unchristlich bestimmte, verteilte und zuteilte.
Ich glaube, wenn sie mir erlauben, hier dieses Wort zu benützen, dass auch heute viele Leute vor allem nicht an den einen Gott glauben, vor allem nicht an diesen einen, allmächtigen Gott, der unmöglich in ihre Wunschvorstellungen und auch nicht in ihre wirtschaftliche Realität und in ihren Wohlstand passt.
Vor dessen Ansprüchen müssen wir uns schützen.
Wer könnte schon etwas gegen den Gott hinter der Bergpredigt haben, würde dieser nicht kollidieren mit eigentlichen unchristlichen Werten, die hochzuhalten viele von uns gezwungen sind, um unseren Lebensstandard zu halten oder wie das auch systemimmanent ist, zu steigern?
Mit der Bergpredigt in der Tasche lässt sich heute in keinem Beruf mehr leicht Karrriere machen.
Und dies bringt mich zu meinem zweiten Spruch. Es ist Vers 3 in Psalm 14 über die Torheit der Gottlosen und er markiert das andere Ende des Spektrums, in welchem ich mich selbst mit vielen anderen befinden.
Alle sind sie abtrünnig und verdorben, / keiner tut Gutes, auch nicht ein Einziger.
Und ja, es ist der Zustand grosser Teile unserer inneren und äusseren Welt, die heute auch ein Ungläubiger wie ich, nicht treffender bezeichnen kann als mit dem Wort gottlos.
Gottlos trostlos, trostlos gottlos.
Es ist immer wieder diese Gottlosikeit, das heisst die Missachtung der elementarsten Gebote und Verhaltensregeln die mich an die Möglichkeiten dieser schönen Erfindung Gott und damit auch an das ganze Glaubenssystem erinnern.
Das System und diesen Gott, für den ich nur ein Klumpen bin, den kann ich gut hinnehmen. Ich kann mich damit abfinden, aber dort, wo diese angedeutete Gottlosigkeit eklatant und bis zum Ekel unerträglich wird, passiert mit mir etwas anderen.
Ich brauche sie jetzt nicht auf bestimmte Zustände, Kriege oder Krisen aufmerksam zu machen. Sie lesen selbst Zeitung, haben durch das Fernsehen und eigene Erfahrung ihr eigenes Bild vom Zustand der Welt. Aber es ist dort in diesen Abgründen der Gottlosigkeit in Krieg, Elend und Hunger, wo ich mich dabei ertappe, eben doch Christ zu sein, und zwar einer mit einer Hoffnung, wenn nicht Sehnsucht, nach einem besseren Verhältnis zu dieser schön erfundenen Idee von Gott.
Ob das eine Predigt ist? Im eigentlichen Sinne nicht. Da fehlt es beim Aufbau an Form und Einfachheit, in der Ausführung an Klarheit.
Ob ich Ihnen trotzdem etwas mitgeben konnte? Vielleicht reicht es ja, zu tun, was meines Wissens auch die Kircht tut: Verbindungen zu schaffen, Verständigung anzuregen, Vorurteile abzubauen, Gemeinschaften aufzuzeigen. Einander ernst nehmen. Sich mitzuteilen.
Ich habe mich mitgeteilt.
Und glauben Sie mir, auch wenn in der Literatur das Predigen verpönt ist, etwas hat ein guter Text eben doch mit der Predigt gemeinsam. Er darf zwar in seiner Anlage und in seiner Absicht weder dem Autor noch einem vordergründigen Anliegen dienen, aber seinen Ursprung, seine Wurzeln hat er dennoch in dieser Welt, die immerzu der Erlösung hart, sei es durch Glaube, Worte oder Taten. Auch die Literatur ist vermutlich in ihrem besten Zustand eine Suche nach der Wahrheit, nach der Schönheit und somit nach Gott. Und deshalb darf ich die Bibel wohl weiter lesen, wie bisher. Als das Buch der Bücher, aber auch einfach als Buch.
Liturgie Autorengottesdienst Mühlegasse, Kallnach, BE/CH
Begrüssung/ Votum
Lied: 579, 1-2, 5-5 Danke für diesen guten Morgen
Psalm
Gebet
Kirchenchor
Lesung
Kirchenchor
Predigt: Beat Sterchi
Zwischenspiel
Vorstellung der Konfirmanden
Lied: 700 Weit wie das Meer
Abkündigung, Gebet
Kirchenchor
Fürbitte mit Liedruf 336 Friede wünsch ich diir
Unser Vater
Lied: 346 Bewahre uns Gott
Segen
Ausgangsspiel