Was für die sprachlichen Minderheiten in der Eidgenossenschaft selbstverständlich ist, muss von den deutschsprachigen Freiburgern in ihrem Kanton immer neu verteidigt werden. Ein Kämpfer für die Rechte dieser Minderheit ist der Poet, Theaterautor und Naturbestatter Franz Aebischer.
«Wir kiä hie eifach zwüsche Stu und Bank»
Während des Sommers lebt Franz Aebischer (65) zurückgezogen und naturverbunden wie ein Senn auf der Alp Spielmannda hoch über dem malerischen Schwarzsee in den Freiburger Alpen. Dort ist er Herr und Hüter eines alpinen Friedhofes, der längst weit über die Schweiz hinaus bekannt geworden ist. Wer die Art seiner Bestattung selbst bestimmen will und nach seinem Ableben möglichst unberührt von der Hektik des urbanisierten Unterlandes in der Stille der Bergwelt begraben werden möchte, kann sich hier vertraglich eine letzte Ruhestätte sichern, welche diesen Namen auch verdient.
Zum Gespräch treffen wir uns aber an der Grand-Rue in der Altstadt von Freiburg im Restaurant «Schweizerhalle». Hier in der Nähe, an der Lausannegasse, hat Franz Aebischer seinen zweiten Wohnsitz. «Nur eine Absteige», sagt er, und auf die Frage, wo er sich eher zu Hause fühle, ob auf der Alp oder in der Stadt, antwortet er in seinem elegant melodiösen Senslerdeutsch: «Ig bruche bedes, gäu.»
Romanisierung der Stadt
Es war auch hier in dieser gepflegten Altstadt, wo sich Franz Aebischer vor gut zwanzig Jahren vehement und meist im Alleingang für die Existenzberechtigung seiner Muttersprache einzusetzen begann. Zwar wurde der deutschfreiburgische Dialekt in den ihm angestammten Bezirken an der Sense und am Murtensee auch damals wie heute gesprochen und gepflegt, aber in der Kantonshauptstadt hatte er zunehmend einen schweren Stand. Und dies obschon Freiburg vor 850 Jahren von der süddeutschen Zähringerdynastie ausdrücklich als zweisprachige Stadt gegründet worden war.
Während der Anteil der deutschsprachigen Stadtbevölkerung auf weniger als 20 Prozent schrumpfte, verschwand ihre Sprache aus dem öffentlichen Raum. Die letzten schriftlichen Spuren wurden systematisch getilgt. Noch sieht man auf alten Fotos, dass Strassen, Gaststätten und Geschäfte ehemals zweisprachig angeschrieben waren, aber spätestens seit den beiden Weltkriegen und dem damit verbunden Hass auf alles Deutsche verstand sich Freiburg als «ville romande».
In dem neuen Selbstbewusstsein von der Romandie auch gestützt und getragen, verdrängte die Stadt ihre zweisprachige Geschichte – so empfinden es viele Deutschfreiburger – und verlangte von der sprachlichen Minderheit ein solches Übermass an Anpassung, dass sich Unzufriedenheit und, angeführt von Franz Aebischer, zumindest punktueller Widerstand auszubreiten begannen.
Eine Frage der Gerechtigkeit
Er habe ja überhaupt nichts gegen die Frankofonie, im Gegenteil, sagt Franz Aebischer, der täglich welsches Radio hört und neben den «Freiburger Nachrichten» auch die Zeitung «La Liberté» liest. Aber es gehe um Gerechtigkeit gegenüber der Minderheit. Auch müsse deren kulturelles Erbe zum Wohle und zur Bereicherung aller erhalten bleiben. Zudem sei er immer überzeugt gewesen, dass der altehrwürdigen Stadt auf Grund ihrer Geschichte eine auch von den Behörden geförderte Zweisprachigkeit nicht nur gut anstehen würde, sondern dass diese in einer modernen, globalisierten Welt selbstverständlich sein sollte.
Dass wenigstens im historischen Teil der Altstadt die Strassen und Gassen neben den französischen auch wieder mit den ursprünglichen deutschsprachigen Namen angeschrieben wurden, war das Ziel des ersten kleinen symbolischen Kampfes, den Franz Aebischer damals geführt hatte. Der Widerstand war gross. Gerade das Augenfällige generierte eine massive Gegnerschaft. Man wehrte sich gegen die angebliche Germanisierung.
Aber in einer kleinen Eulenspiegelei schraubte er das erste, farblich identische Schild mit der Aufschrift «Rathausplatz» gleich selbst unter das Schild «Place de l’Hôtel de Ville». Zweimal wurde es nachts entfernt. Vorsorglicherweise hatte Franz Aebischer aber gleich drei Exemplare herstellen lassen. «Und wohlverstanden», sagt er heute genüsslich kichernd, «unter den Leuten, die mich damals bei dieser symbolträchtigen Aktion unterstützt haben, waren auch französischsprachige Freiburger gewesen.»
Nicht ohne Stolz verweist er darauf, dass heute die wesentlichen Strassen und Plätze zweisprachig beschildert sind, während die deutschsprachige Arbeitsgemeinschaft im Gegensatz dazu seit Jahren vergebens versuche, bei der Anschrift des Bahnhofes neben dem «Fribourg» auch das «Freiburg» durchzusetzen.
Die Politiker drücken sich
Das liege nicht zuletzt daran, dass sich namhafte Politiker nur ungern für die Anliegen der Minderheit einsetzten. Noch heute empfindet Franz Aebischer, dass ihm jene Kräfte, deren Interesse er mit seinen Bemühungen vertrat, die angemessene Unterstützung schuldig geblieben seien. Auch er sei insbesondere von den deutschsprachigen Politikern im Stich gelassen worden. Diese setzten sich vielleicht unter Deutschfreiburgern für deren Sache ein, nicht aber in der Stadt Freiburg und schon gar nicht in den Bezirken der französischsprachigen Mehrheit, da man auch dort gewählt werden müsse.
«Im Sensebezirk an einer Versammlung, ja, da lassen sie grosse Sprüche ab, aber damit hat es sich.» Dabei werde er noch heute auf der Strasse von Leuten angesprochen, die sich falsch behandelt fühlten, weil sie auf Grund ihrer Sprache im Umgang mit den administrativen Behörden diskriminiert würden. Das habe er schon wiederholt selbst miterlebt, aber es sei einfach so, dass jemand, der im Kanton oder gar in Bern Karriere machen wolle, mit dem Sprachproblem nichts zu gewinnen habe.
Polemiker und Pamphletist
In der Streitschrift «Der Schuss in den Rücken, ein ABC für Deutschfreiburg», die in der Landesbibliothek eingesehen werden kann, hat Franz Aebischer die Widersprüchlichkeiten und die sprachlichen Probleme im Grenzkanton mit spitzer Feder, seiner eigentlichen Waffe, auf den Punkt gebracht. Witzig und hämisch schreibt er markige Sätze, landet zumindest aus der Sicht seiner sprachlichen Schicksalsgemeinschaft manch einen schmerzlichen Treffer und erregte damit schon manch ein Gemüt.
Seine an französischen Vorbildern geschulte Fähigkeit zur gnadenlosen Polemik ist auch heute unbestritten. Zu seiner eigentlichen Muttersprache, dem «Seisler Dialekt», sagt er zwar wenig bis nichts. In seinen Gedichten und Texten beweist er aber, dass er auch diesen nicht nur beherrscht, sondern auch damit kämpft und zuweilen in alte Wunden sticht. Franz Aebischer ist halt einfach der Meinung, dass das, was in der zweisprachigen Stadt Biel für die französischsprachige Minderheit getan wurde, umgekehrt auch in Freiburg möglich sein sollte. «Wir kiä hie eifach zwüsche Stu und Bank», sagt er, während er nach dem Essen in der «Schweizerhalle» seinen Tabak hervorholt und sich eine Zigarette dreht.
«Wir haben keine Unterstützung von der Deutschschweiz, und für die Welschen sind wir halt die Vertreter jener Mehrheit, gegen welche sie sich 500 Jahre lang haben wehren müssen.» Dazu komme, dass diese als Minderheit der Schweiz einfach ein besseres Sprachbewusstsein entwickelt habe. Dann sei noch zu sagen: «Den Tritt, den sie gerne den mächtigen Zürchern versetzen möchten, den geben sie uns. Wir sind wirklich nicht gerade auf einem guten Posten, abgesehen davon, dass die Situation eine Herausforderung darstellt.»
Eine Herausforderung bestehe unter anderem darin, etwas für die deutschsprachige Kultur zu tun, die es hier offiziell kaum mehr gebe. Um nicht vergessen zu gehen, müsse man zwischendurch etwas machen, das im ganzen alemannischen Raum auf Aufmerksamkeit stosse und in Erinnerung rufe, dass das deutschsprachige Freiburg noch immer am Leben sei.
Das war auch die Hauptmotivation für Franz Aebischer im Hinblick auf die 850-Jahr-Feier 2007, im Auftrag von Le Boucher Corpaato ein Theaterstück zu schreiben, das noch in diesem September in dessen Privatmuseum Kuriosum Sonnenberg hoch über der Altstadt von Freiburg unter freiem Himmel zur Aufführung kommt. «Bertold und die Narrensuppe» ist der Titel. «Die wahrhaftige reconstruction von der gründung der löblichen Stadt Freiburg im Uechtland» lautet der Untertitel.
Ein Theaterstück als Sinnbild
Dabei handelt es sich um ein poetisch-witziges Volksstück, das zwar aus praktischen Gründen auf eine konsequente Zweisprachigkeit verzichtet, jedoch mit dem verschrobenen Köhler Kolly auch eine französische Rolle anbietet. Lustig ist diese Rolle unter anderem, weil sich Kolly alles, was er nicht versteht, von seiner Frau übersetzen lassen muss. Dass er sich auch unter dem Pantoffel seiner Gemahlin befindet, ist vielleicht, wenn auch nur für den Stückautor Franz Aebischer, in der Umkehrung ein Sinnbild für die Situation der Deutschfreiburger in ihrem Kanton.
Auf die Sprachproblematik angesprochen, erläutert auf der Rückreise von Freiburg nach Bern eine Studentin aus dem Sensebezirk gelassen ihre Sicht. Zwischen den Sprachgruppen gebe es zwar Rivalität, was besonders auf einem Fussballplatz bemerkbar sei, steige dort bei einem Spiel zwischen Mannschaften aus verschiedenen Sprachgebieten des Kantons der Lärmpegel doch beträchtlich. Es werde auch allgemein über die Sprachgrenzen hinweg gestichelt und getriezt, aber eigentlich lebe man in Freiburg auch sprachpolitisch in gutnachbarlichen Verhältnissen.
Franz Aebischer auf seiner Alp Spielmannda: Ein Kämpfer für die gelebte Zweisprachigkeit im Kanton Freiburg/Fribourg.
SDA, Donnerstag 13. Juli 2006